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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
Autoren: Joe R. Lansdale
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man gerade das Gemeindehaus in Brand gesetzt, während lauter Pfadfinderinnen mit rosigen Wangen und selbstgebackenen Keksen drinsaßen.
    Soweit ich mich erinnere, waren sogar bestimmte Toilettenartikel tabu. Damals war der Sonntag also ein Tag, an dem das Autokino geschlossen blieb. Meine Eltern waren keine Kirchgänger, und wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, wurde Religion bei uns nie ernsthaft zur Sprache gebracht, jedenfalls nicht von einem theologischen Standpunkt aus.
    Doch wie auch immer es um den Familienglauben bestellt war, es stand außer Frage, dass Callies Verfehlung einen moralischen Kern hatte. Immerhin hörte ich, wie meine Mutter zu Gott rief. Zweimal. Ich glaube, sie drohte ihm.
    Daddy merkte, dass mir die Sache mit dem zugeknoteten Luftballon ein Rätsel war, und versuchte an jenem Nachmittag, mir alles zu erklären. Wir saßen hinterm Haus auf Stühlen unterm Vordach der Imbissbude, schauten zum grünen Zaun in der Ferne und beobachteten, wie der letzte Regen heruntertröpfelte.
    Ohne mich anzusehen, fragte Daddy: »Mein Sohn, hast du verstanden, warum wir böse auf Callie sind?«
    »Du hast was in ihrem Zimmer gefunden, was da nicht hätte sein sollen.«
    Einen Augenblick lang saß Daddy schweigend da. Aus den Augenwinkeln warf ich ihm einen Blick zu, denn irgendwie ahnte ich, dass dies kein Gespräch war, bei dem man einander ins Gesicht sah.
    »In gewisser Hinsicht stimmt das«, gab Daddy zurück. »Sohn, weißt du Bescheid über die Bienen und die Blumen?«
    Natürlich. Fragte er mich gerade, was der Unterschied zwischen ihnen war? Sollte das eine Lehrstunde über Flora und Fauna werden? »Ich glaube schon«, antwortete ich.
    »Also, auch die Bienen und die Blumen haben ihre Zeit. Davon hast du ja sicher schon gehört.«
    »Ja, Sir.«
    »Tja, Callie hat es zu früh herausgefunden. Oder vielleicht wusste sie es bereits, aber sie hat sich zu früh darauf eingelassen.«
    »Auf die Bienen und die Blumen?«
    »Sozusagen, ja.«
    »Deswegen bist du böse?«
    »Ja. Es hat mich verletzt. Und ich hab ein bisschen Angst.«
    Jetzt schaute ich ihn an. Ich konnte einfach nicht anders. Daddy und Angst? Mein Daddy schien für mich unbesiegbar zu sein. Einer von denen, die mit einem Stock auf Bärenjagd gingen und den Bären dazu brachten, ihnen den Stock nach Hause zu tragen. Und jetzt war er sauer über irgendwelche Insekten und Pflanzen und einen zugeknoteten Luftballon.
    »Warum denn, Daddy?«
    »Weil Callie mein kleines Mädchen ist und ich nur das Beste für sie will, und weil sie zu jung ist für solche Sachen.«
    »Hat sie damit in ihrem Zimmer herumgeworfen?«
    »Womit?«
    »Mit Wasserbomben?«
    Daddy schaute mich einen langen Augenblick an, blinzelte und sagte: »Äh ... hm, also ... ja, mein Sohn. Genau. Das kann ich einfach nicht hinnehmen ... weißt du was, wir reden später noch mal darüber.«
    Daddy stand auf und ging hinein.
    Ich saß noch eine Weile da, dann trottete ich völlig verwirrt hinterher. Worum auch immer es bei unserem Gespräch gegangen war, eins war mir klar: Es war ein Thema, über das Daddy eigentlich nicht unbedingt sprechen wollte.
     
    In den nächsten paar Tagen ereigneten sich mehrere, wie ich fand, zusammenhanglose Vorfälle. Natürlich wusste ich, dass Callie Ärger hatte wegen der Wasserbomben, aber es erstaunte mich doch, dass Mom und Daddy ihr für das nächste halbe Jahr Hausarrest gaben, oder »vielleicht sogar für immer«, wie Daddy sich ausdrückte, außer wenn sie mit uns aus dem Haus ginge.
    Außerdem war Callie die ganze Zeit über weinerlich, und das wunderte mich. Normalerweise ertrug sie ihre Strafen mit stoischer Gelassenheit, zumal ich den Eindruck hatte, dass sie sowieso besser davonkam als ich. Für gewöhnlich wickelte sie Daddy schnell um den Finger, aber diesmal war es anders. Er war strenger zu ihr als Mom, und Mom machte es ihr schon nicht leicht. Sie trug Callie ständig neue unangenehme Hausarbeiten auf, und manchmal brach sie bei ihrem Anblick in Tränen aus.
    Callies Freund Chester, den sie an unserem zweiten Tag in Dewmont kennengelernt hatte und der neunzehn Jahre alt war, stellte bald darauf seine Besuche bei uns ein – er und Daddy hatten eine Meinungsverschiedenheit, wie Mom es später nannte.
    Genauer gesagt forderte Daddy ihn auf, sich nicht mehr bei uns blicken zu lassen. Ein paar Tage später missachtete Chester diese Anweisung jedoch. An einem Sonntagnachmittag kreuzte er bei uns auf und wollte mit Daddy sprechen, »von Mann zu
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