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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
Autoren: Joe R. Lansdale
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Mann«.
    Er fuhr in seinem schwarzen getunten Ford vor, auf dessen Seiten gemalte Flammen züngelten, und stieg aus, das Haar so modelliert, dass es aussah wie eine umgekippte schwarze Soßenschüssel. Er trug ein pink-schwarzes Hemd, Jeans mit umgeschlagenem Saum und ein Paar – wie sollte es auch anders sein – blauer Wildlederschuhe.
    Langsam kam Chester hinter der Autotür hervor, wie ein Abgesandter vom Planet Rockabilly, der uns die Ehre eines Besuches erwies.
    Daddy wusste bereits von seiner Ankunft, da ich mit Nub draußen im Vorgarten herumgetobt hatte und, sobald Chester auftauchte, ins Haus gestürzt war, um ihn zu verpetzen.
    Ich folgte Daddy nach draußen. Chester stellte ein Bein vor und versuchte wie Elvis auszusehen. Dann sagte er: »Sir, ich will Ihnen mal was erklären, was mich und Callie angeht.«
    Das war der falsche Tonfall. Statt einer Antwort ging Daddy schnurstracks auf Chester los. Seine Faust landete auf Chesters Kinn, und nach diesem Hieb gab Chester ein Geräusch von sich, das sich anhörte, als würde man eine Katze quälen. Dann setzte sich Daddy rittlings auf ihn und trommelte mit den Fäusten wie ein Zirkusaffe auf Chester ein.
    Nun ja, wenn es Daddy wirklich ernst gewesen wäre, dann wäre Chester nie mehr aufgestanden. Daddy verpasste ihm eine Ohrfeige nach der anderen und sagte: »Hast du’s jetzt endlich kapiert, du Schmierlappen? Hast du’s kapiert?«
    Chesters Verständnis schien nicht gerade zu wachsen, aber seine Stimme kletterte definitiv um einige Oktaven nach oben. Nach ungefähr fünf Minuten Ohrfeigenhagel machte er den Tenören der Wiener Sängerknaben Konkurrenz, nur nicht ganz so melodiös.
    Und so, während Daddy im Schatten der Autokino-Mauer auf Chester hockte und verzweifelt versuchte, ihm mit ständigen Schlägen ein bisschen Verstand einzubläuen, verging der Vormittag. Oder wenigstens kam es mir so vor. Ich glaube tatsächlich, dass Daddy Chester eine Viertelstunde lang durchwalkte.
    Wehklagend flehte Chester zu Gott, er möge vom Himmel herabsteigen und ihn retten, doch Gott zeigte sich nicht, aber immerhin kamen Mom und Callie aus dem Haus.
    Als wir befürchten mussten, dass Daddy wirklich ausrasten und ihn ernsthaft verletzen würde, zogen Mom, ich und Callie ihn von Chester herunter. Daddy nannte ihn einen Hurensohn, während Chester zu seinem Auto humpelte. Sein Gesicht glühte rot von den Schlägen, das ölige Haar hing ihm in die Stirn, sein Ducktail war im Nacken plattgedrückt, und vom Hosenboden seiner Jeans rieselte Gras. Seine blauen Wildlederschuhe sahen allerdings noch ganz gut aus.
    »Ich hab dir doch gesagt, du sollst hier nie wieder aufkreuzen«, rief Daddy. »Wenn ich dich noch ein Mal bei uns sehe, tret ich dir so fest in den Arsch, dass du eine verdammte Seilwinde brauchst, damit du ihn zum Scheißen wieder runterkriegst!«
    Während ihm das Blut in Strömen aus der Nase lief, stieg Chester in seinen alten Ford und raste davon, dass der Kies nur so spritzte.
    »Was um alles in der Welt ist in dich gefahren?«, wollte Mom von Daddy wissen.
    Daddy warf Callie einen vernichtenden Blick zu und antwortete: »Viel wichtiger ist die Frage, wer oder was in Callie gefahren ist.«
    »Stanley!«, sagte Mom.
    Später kamen Polizisten zu uns. Daddy nahm sie beiseite und sprach mit ihnen. Ich hörte einen von ihnen lachen, ein anderer klopfte Daddy auf die Schulter. Das war’s.
    Chester konnte ohnehin niemand so recht leiden, daher musste er am Ende einfach seine Tracht Prügel wegstecken und sich daran erfreuen wie an einem lang ersehnten Weihnachtsgeschenk.
    Solche Sachen passierten, und ich hatte keine Ahnung, worum es überhaupt ging.
     
    Bevor ich in jener Nacht zu Bett ging, fing ich an, ein Buch mit dem Titel Die Schatzinsel zu lesen. Ich hatte schon früher Piratenbücher gelesen, aber noch nie etwas Vergleichbares. Ich las es bis zur Hälfte durch, bevor ich einschlief.
    Nachdem ich von dem Schatz gelesen hatte, fiel mir dann am nächsten Morgen wieder ein, dass ich diese rostige alte Kiste hinterm Autokino gefunden hatte. Also lief ich nach dem Frühstück zur Hütte, um das Ding zu öffnen.
    Ich fand eine Brechstange. Indem ich mich auf das Kästchen stellte und das Stemmeisen im Bügel des Vorhängeschlosses einhakte, gelang es mir mit viel Schnaufen und Keuchen, das Schloss aufzubrechen.
    Ein Lederbeutel lag darin. In dem Beutel, eingewickelt in etwas, das sich wie ein Stück von einem Regenmantel anfühlte, steckte ein Bündel brauner
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