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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
Autoren: Joe R. Lansdale
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jeden Tag dabeihatte, und dann wirbelte sie mit dem Staubwedel herum. Das war ein ziemlicher Anblick, diese dicke Frau beim Herumwirbeln zu beobachten. Sie sah aus wie eine Bärin, die ihre Höhle putzte.
     
    An einem Samstagvormittag, als Rosy Mae ihren freien Tag hatte, saß ich draußen auf der Veranda neben meinem Daddy auf einem der metallenen Gartenstühle, während er an einem Stock herumschnitzte und über den neuen Film mit Jimmy Stewart redete, Vertigo , der am Abend laufen würde. Er meinte, er käme gar nicht dazu, ihn anzuschauen, weil er so viel Arbeit habe, und das gefalle ihm gar nicht, denn er sei doch ein großer Fan von Jimmy Stewart, und er überlege, ob er den Film nicht am Sonntag einfach nur für die Familie abspielen und ein paar Freunde dazu einladen solle, aber keine Freunde von Callie. Sie dürfe mitgucken, aber sie solle nicht allzu viel Spaß dabei haben.
    Was er so sagte, gefiel mir, besonders dass Callie keine Freunde einladen durfte. Ich genoss ihre Bestrafung in vollen Zügen. Außerdem war ich eifersüchtig, weil sie so schnell neue Freundschaften schloss. In der kurzen Zeit, seit wir in Dewmont wohnten, hatte sie schon viele Freunde gewonnen. Sie war so hübsch und so amüsant, dass sie nur irgendwo auftauchen musste, schon fielen die Jungs über sie her, und auch die Mädels, die anfangs vielleicht neidisch waren, schlossen sie rasch ins Herz.
    Na ja, die meisten jedenfalls.
    »Darf ich jemanden einladen?«, fragte ich.
    »Klar. Wen denn?«
    »Rosy Mae.«
    Daddy drehte sich zu mir um und sagte: »Mein Sohn, Rosy Mae ist eine Farbige.«
    »Ja, Sir«, sagte ich.
    Er lächelte mich an. »Also, sie ist schon in Ordnung. Ich mag sie. Aber weiße Leute verbringen ihre Freizeit nicht mit Farbigen. Das tut man einfach nicht. Weißt du, ich habe nicht das Geringste gegen sie. Sie macht ihre Arbeit gut, aber wenn ich ein paar Freunde zu uns einlade, dann glaube ich nicht, dass sie neben einer Farbigen sitzen und mit ihr zusammen einen Film schauen wollen.«
    »Warum nicht?«
    »Also, Farbige sind anders, mein Sohn. Sie sind nicht wie du und ich. Gute anständige Weiße halten sich einfach nicht in Gesellschaft von Niggern auf.«
    All das hätte ich vermutlich wissen sollen, aber in No Enterprise hatte ich ein behütetes Leben geführt. Die einzigen Farbigen, die ich dort je gesehen hatte, waren auf diesen klapprigen Wagen durch den Ort gefahren, mit einem Pflug hinten dran und einem Maultier davorgespannt.
    Und dann war da noch Onkel Tommy, der Messer schleifte und Haushaltsgeräte reparierte. Er lebte unten am Fluss in einer Hütte mit einem einzigen Zimmer und einem Plumpsklo dahinter. Ich wusste, dass die farbigen Menschen, die ich gesehen hatte, arm waren, aber erst in diesem Augenblick begriff ich, dass sie anders waren, dass sie von den Weißen als minderwertig angesehen wurden. Und obwohl ich das Wort »Nigger« bereits gehört hatte, merkte ich jetzt, dass man es so aussprechen konnte, dass es sich wie ein Schlag ins Gesicht anfühlte, sogar wenn man ein Weißer war.
    Außerdem wurde mir bewusst, dass Daddy und Mom keine richtigen Freunde in Dewmont hatten, und höchstwahrscheinlich verbrachten sie mehr Zeit mit Rosy Mae als mit irgendjemandem, den sie sonst hätten einladen können.
    Daddy, der meine Enttäuschung spürte, sagte: »Wenn du willst, kannst du einen deiner Kumpels einladen. Wie wäre es mit diesem Richard? Er scheint mir zwar ein ziemlicher Rabauke zu sein, aber wahrscheinlich ist er ganz in Ordnung.«
    »Ja. Okay. Vielleicht.«
    »Glaubst du, dass er Läuse hat?«
    »Er kratzt sich ganz schön oft.«
    »Ich finde, seine Haare sehen ziemlich verdächtig aus.«
    Richard war tatsächlich in Ordnung. Ich mochte ihn. Aber in dem Moment ging mir auf, dass ich ein engeres Verhältnis zu Rosy Mae hatte als zu ihm, und ich hatte sie sogar später kennengelernt als Richard.
    Rosy Mae und ich verbrachten sehr wohl unsere freie Zeit miteinander. Wenn ich mit ihr redete, musste ich nicht groß darüber nachdenken, was ich gleich sagen würde. Nie und nimmer hätte ich Richard erzählt, dass ich gerne Gedichte las, aber Rosy Mae hatte ich es anvertraut. Und auch wenn sie ein Gedicht nicht von einem Kuhfladen unterscheiden konnte, begriff sie, dass ich Gedichte mochte, und würdigte mein Interesse, und sie ließ sich sogar eines von Robert Frost von mir vorlesen – zweimal. Außerdem hatte sie alle Tarzan-Filme vom hintersten Rang im Palace Theater aus gesehen, von wo Farbige die
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