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Ein Drama für Jack Taylor

Ein Drama für Jack Taylor

Titel: Ein Drama für Jack Taylor
Autoren: Ken Bruen
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Gesang die Tote beklagte.«
    J. M. Synge, Die Aran-Inseln

N iemand versah Tresendienst. In Irland findet man die merkwürdigsten Dinge in Kneipen, aber ein unbemannter Tresen gehört nicht dazu. Ich sah Mrs Bailey an, und sie sagte:
    »Ich mach schon.«
    Ich musste fragen:
    »Arbeitet da nicht eigentlich jemand?«
    Sie seufzte tief auf, sagte:
    »Wir haben einen Burschen, aber er neigt dazu, sein eigener bester Gast zu sein. Meist ist hier nicht viel Betrieb, deshalb mache ich das hier gewöhnlich selbst.«
    Ich marschierte mit ihr zu einem Tisch, setzte sie hin, verbeugte mich, fragte:
    »Nach welcher Art Trank stehen Madam der Sinn?«
    Sie war entzückt, sagte:
    »Etwas Süßes.«
    Ich warf einen raschen Blick auf die staubigen, aber wohlgefüllten Regale. Ich sagte:
    »Dürfte ich einen nicht allzu schmächtigen Sherry vorschlagen?«
    Sie schüttelte den Kopf, sagte:
    »Das ist ein Altweibergetränk. Ich möchte keine Minute lang alt sein.«
    Und wer konnte es ihr verübeln? Ich sagte:
    »Crème de menthe?«
    Sie klatschte in die Hände, sagte:
    »Perfekt.«
    Ich ging hinter den Tresen und war wie erstarrt, ein Alkoholiker vor dem Erschießungskommando. Dort oben waren sie, all die tödlichen Burschen: Jameson, Paddy, Black Bush, die Zielvorrichtungen parat.
    In null Komma nix konnte es mich treffen. Ich sah Mrs Bailey an. Sie behielt mich nicht im Auge. Von einem Stapel Zeitungen auf ihrem Tisch hatte sie den Galway Advertiser ausgewählt und blätterte ihn durch. Ich schenkte ihr einen großen Menthe ein, nahm mir ein einheimisches Mineralwasser mit Kohlensäure und hinterließ zwanzig Euro an der Kasse. Heute keine Gratisgetränke. Ging hin und setzte mich ihr gegenüber, hob mein Glas, und wir ließen es klingeln. Ich sagte:
    »Sláinte amach.«
    »Leat féin.«
    Sie nahm einen zierlichen Schluck, sagte:
    »Das ist prima Stoff.«
    Wir genossen einen Augenblick der Stille, des nicht unbehaglichen Schweigens, dann fragte ich:
    »Was bekümmert Sie, Mrs B?«
    Sie faltete die Hände im Schoß, dann:
    »Sie quetschen mich aus, Bauunternehmer, Gläubiger, eine ganze Meute. Ich versinke und fürchte, ich werde verkaufen müssen.«
    Eine weitere Institution von Galway sollte unter dem Fortschritt versinken, alles Anständige und Gute und, ja, Alte wurde demoliert. Sie fragte:
    »Haben Sie gewusst, dass die Bäume am Eyre Square gefällt werden sollen?«
    »Was?«
    »Es heißt, sie würden ersetzt.«
    Sie machte ein ersticktes Geräusch, setzte hinzu:
    »Ich verstehe es nicht. Man fällt gesunde Bäume und ersetzt sie dann?«
    Ihr fehlten die Worte, bis sie fast explodierte:
    »Das ist Gotteslästerung!«
    Ich hatte das Aroma der crème de menthe erschnuppert. Klar war das Zeugs süß, aber die Alkoholunterlage war so stark wie ein schwerer Verlust. Ich spürte den massiven Zwang, über den Tresen zu springen, den Mund unter einer der Zielvorrichtungen in Stellung zu bringen und bis zum Jüngsten Tag gegen den Mechanismus zu drücken. Mir schauderte, und sie legte ihre Hand auf meine, eine sanfte Berührung, fragte:
    »Ist Ihnen kalt, a mhic? «
    A mhic! »Mein Sohn« auf Irisch. In meiner Jugend hörte man das ständig. Im Claddagh verwenden es die alten Leute immer noch. Ein Kosewort, manchmal gescholten, aber nie schroff. Ich sagte:
    »Zieht vielleicht ein bisschen.«
    Sie sah sich um, sah Geister, die ich nie kennen würde. Ich hatte an meiner eigenen Mannschaft genug zu schleppen. Sie sagte:
    »Sie werden es natürlich abreißen, irgendwas Monströses hochziehen, aber, so Gott will, werde ich bis dahin die ewige Ruhe gefunden haben. Wissen Sie was, Mr Taylor, man kann seine Zeit überleben, und das ist ein Leiden.«
    Ich dachte an Synge, sein Deirdre of the Sorrows. Irgendwie lief es immer wieder auf dies Stück hinaus, die Passage, die mit rotem Bossmarker hervorgehoben war und die ich auswendig gelernt hatte. In dem Stück kauert Deidre am Boden und wiegt sich bei ihrer Totenklage. Sie hält den Toten eine Rede, wendet sich direkt an sie, erinnert sich der Tröstungen und des Behagens der Zeit, die sie mit ihnen verbracht hat, und der schieren Verzweiflung, da sie sie nicht mehr um sich hat. Es sprach mich in einer Weise an, mit der ich nie gerechnet hatte. Das bestürzende Innewerden, so bizarr das klingen mag, dass der Dramatiker mit mir sprach …, mir vielleicht etwas beizubringen versuchte.
    Die Textstelle geht so:
    Ihr drei seid’s, die weder Alter noch Tod werden kommen sehen; ihr, die ihr meine
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