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Ein Clochard mit schlechten Karten

Ein Clochard mit schlechten Karten

Titel: Ein Clochard mit schlechten Karten
Autoren: Leo Malet
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ist es ja eben“, sagte sie
seufzend. „Er ist verschwunden.“

2
     
    Ich veränderte meine
Sitzhaltung. Der Stuhl protestierte.
    „Verschwunden?“ fragte ich.
    „Oh!“ Die Frau machte eine
weitausholende Geste. „Er ist nicht entführt worden oder gekidnappt, wie man das
nennt. Er hat sich auch nicht in die Seine geworfen oder so was. Nein, er hat
mich sitzenlassen, ganz einfach sitzenlassen...“
    Sie stieß ein bitteres Lachen
aus.
    „Hübsch, so Kinder, was, M’sieur ? Ganz allerliebst! Bringen Freude und Licht ins
Haus, nicht wahr? Sagt man jedenfalls... Ja, Scheiße... In irgendeinem
Käseblatt hab ich neulich was gelesen über das Drama der Kaiserin von Persien
und dieser Schauspielerin... Jane Russell. Können beide keine Kinder kriegen.
Untröstlich sind sie, die Damen! Alles zum Teufel! Das Leben hat keinen Sinn
mehr! Scheiße, uns passiert so’n Drama nicht! Kinder
kriegen wir genug, aber Geld... Keinen müden Sou...“
    Sie strich sich über den Bauch.
    „Dem armen Wurm hier drin mach
ich das nicht zum Vorwurf. Der kann nichts dafür. Schließlich bin ich keine
Rabenmutter...“
    Ihre Augen füllten sich mit
Tränen.
    „Aber wegen ihm hat Paul mich
bestimmt sitzenlassen. Wir sind schon zu zweit schlecht genug zurechtgekommen,
verstehen Sie? Und jetzt noch ein Maul mehr zu stopfen... Aber was soll denn
aus mir werden, ganz alleine? Was soll aus mir werden?“
    Ich kapierte. Von drei oder
vier Kindern an aufwärts, gleichmäßig auf die Jahre verteilt, kann man sich ‘n
Haufen Haushaltsgeräte anschaffen, mit den Kinderprämien, Beihilfen usw. Aber
ein einziges, das ist eine Katastrophe... Ich schielte verstohlen auf den Bauch
der hoffnungsvollen Frau. Mit Fünflingen wär das Problem mehr oder weniger
gelöst gewesen. Ich bin zwar kein Gynäkologe, aber für mehr als einen schien
mir da drin kein Platz zu sein.
    „Was Sie mir da erzählen, macht
mich traurig“, sagte ich. „Hätte nicht gedacht, daß Demessy so’n Schwein ist. Erst das Vergnügen, und dann nichts
wie weg. Als ich ihn kennengelernt habe, war er ‘n anständiger Kerl.“
    „Wie lange ist das her?“ fragte
sie sich schneuzend .
    „Über zehn Jahre.“
    „Na ja“, entschied sie, „in
zehn Jahren kann man sich verändern.“
    „Muß nicht sein. Aber ich hab
ihn zwischendurch hin und wieder mal gesehen, und... Na ja, natürlich, man kann
sich verändern.“
    Pause. Hortense Demessy zauberte irgendwoher ein Taschentuch hervor, tupfte
sich die Augen und schneuzte sich dann geräuschvoll.
    „Ein anständiger Kerl!“ brummte
sie achselzuckend. „Vielleicht doch nicht so anständig.“
    Ich zuckte meinerseits jetzt
die Achseln. Klar, sie mußte ihn besser kennen als ich, oder? Schließlich lebte
sie mit ihm zusammen, nicht ich. Das sagte ich ihr auch.
    „Ja“, antwortete sie, „ich habe
mit ihm zusammengelebt. In wilder Ehe. Vielleicht bin ich ungerecht, aber mir
hat es nie gepaßt , daß er nicht heiraten wollte. Ich
hätte nämlich gerne eingewilligt. Hab oft von Heirat gesprochen. Was soll’s?
Ich bin eine einfache Frau, mit einfachen Vorstellungen. Bin oft drauf zu
sprechen gekommen. Aber er hat die Entscheidung immer wieder auf später
verschoben. Schließlich hab ich die Hoffnung ganz aufgegeben. Wenn wir doch
auch so glücklich waren, hm? Glücklich...“ Sie seufzte und sah böse zu den
Häkelgardinen rüber. „... so weit man das sein kann,
wenn man am Hungertuch nagt. Aber jetzt krieg ich’s knüppeldick. Großer Gott! Was
halten Sie davon? Man teilt sein Leben mit jemandem, aber man will nicht
heiraten. Nein, vielleicht war er gar nicht so anständig.“
    Ich schickte ihren Seufzer
zurück, gewürzt mit etwas Tabakduft.
    „Ich glaube“, sagte ich, „Sie
sind tatsächlich ungerecht. Man kann die Ehe sehr gut als eine überflüssige
Formalität betrachten, ohne sich deshalb wie ein Schwein zu benehmen... Hören
Sie“, fuhr ich fort, weil ich ungern bei diesem heiklen Thema bleiben wollte.
„Er ist verschwunden oder hat Sie verlassen. Jedenfalls haben Sie ihn nicht
mehr gesehen, seit... Seit wann?“
    „Seit drei Tagen.“
    „Und ich soll ihn wirklich
wiederfinden und zu Ihnen zurückbringen?“
    „Das hatte ich gehofft... aber
heute weiß ich, ich bin eine dumme Kuh.“
    „Das heißt?“
    „Sie kennen mich ja gar nicht.
Paul hat mich Ihnen einmal vorgestellt, das ist jetzt schon eine Ewigkeit her;
aber kennen tun Sie mich nicht. Also haben Sie überhaupt keinen Grund, mir zu
helfen... Wenn er mit
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