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Schutzlos: Thriller (German Edition)

Schutzlos: Thriller (German Edition)

Titel: Schutzlos: Thriller (German Edition)
Autoren: Jeffery Deaver
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Juni 2004
DIE SPIELREGELN
    Der Mann, der die junge Frau auf dem Beifahrersitz neben mir töten wollte, befand sich gut eine Meile hinter uns, während wir an diesem schwülen Vormittag durch eine idyllische Landschaft mit Tabak- und Baumwollfeldern fuhren.
    Ein Blick in den Rückspiegel zeigte eine Teilansicht des Wagens, der ohne Hast im Verkehr mitschwamm, gesteuert von einem Mann, der sich in seinem Aussehen kaum von hundert anderen Fahrern auf diesem kürzlich neu asphaltierten, geteilten Highway unterschied.
    »Officer Fallow?«, begann Alissa, ehe ihr einfiel, wozu ich sie seit einer Woche bereits drängte: »Abe?«
    »Ja.«
    »Ist er noch da?« Sie hatte meinen Blick bemerkt.
    »Ja. Genau wie unser Mann, der ihn beschattet.« Mein Lieblingsschüler war zwei, drei Wagenlängen hinter dem Killer. Und er war nicht der Einzige aus unserer Organisation, der im Einsatz war.
    »Okay«, flüsterte Alissa. Die Mittdreißigerin war Zeugin gegen ein Unternehmen, das im Regierungsauftrag viel Arbeit für die Armee erledigte. Die Firma beharrte darauf, nichts falsch gemacht zu haben, und begrüßte offiziell eine Untersuchung. Doch vor einer Woche hatte es einen Anschlag auf Alissas Leben
gegeben, und nachdem ich mit einem hochrangigen Kommandeur von Fort Bragg zusammen in der Armee gewesen war, hatte mich das Verteidigungsministerium zu ihrem Schutz angefordert. Als Chef der Organisation mache ich nicht mehr viele Außeneinsätze, aber ehrlich gesagt war ich froh, einmal rauszukommen. Mein typischer Arbeitstag bestand aus zehn Stunden Schreibtischtätigkeit in meinem Büro in Alexandria. Und im letzten Monat waren es eher zwölf oder vierzehn gewesen, da wir den Schutz von fünf hochkarätigen Informanten koordinierten, die in Prozessen gegen das organisierte Verbrechen aussagten, ehe wir sie in das Zeugenschutzprogramm entließen.
    Es tat gut, mal wieder im Sattel zu sitzen, und sei es auch nur für rund eine Woche.
    Ich drückte eine Kurzwahltaste und rief meinen Ziehsohn an. »Wo ist er jetzt?«
    »Sagen wir eine halbe Meile hinter euch. Er kommt langsam näher.«
    Der Killer, dessen Identität wir nicht kannten, fuhr einen unauffälligen grauen Hyundai.
    Ich folgte einem Siebeneinhalbtonner, auf dessen Seitenwänden Geflügelverarbeitung Carolina aufgemalt war. Er war leer und wurde von einem unserer Fahrer gesteuert. Vor ihm fuhr ein Wagen, der mit meinem identisch war.
    »Wir haben noch etwa zwei Meilen bis zum Tausch«, sagte ich.
    Vier Stimmen bestätigten es über vier verschlüsselte Funkgeräte.
    Ich löste die Verbindung.
    »Alles wird gut«, sagte ich zu Alissa, ohne sie anzusehen.
    »Ich bin nur …«, sagte sie im Flüsterton. »Ach, ich weiß nicht.« Sie verstummte und blickte in den Außenspiegel, als wäre der Mann, der sie töten wollte, direkt hinter uns.
    Wenn sich unschuldige Menschen in Situationen wiederfinden,
in denen sie von Leuten wie mir beschützt werden müssen, reagieren sie meist mit ebenso viel Verwunderung wie Angst. Die eigene Sterblichkeit ist schwer zu verarbeiten.
    Doch für Sicherheit zu sorgen und Menschen am Leben zu erhalten ist ein Geschäft wie jedes andere. Das habe ich meinem Ziehsohn und den anderen in der Dienststelle immer wieder gesagt und sie wahrscheinlich maßlos genervt damit. Aber ich habe es beharrlich wiederholt, weil man es nie vergessen darf. Es ist ein Geschäft mit starren Arbeitsabläufen, die wir so studieren, wie ein Chirurg lernt, präzise in Fleisch zu schneiden, wie ein Pilot lernt, Tonnen von Metall sicher in der Luft zu halten. Diese Techniken wurden über die Jahre immer weiter verfeinert, und sie funktionieren.
    Geschäft …
    Natürlich stimmte es auch, dass der Auftragskiller, der in diesem Moment hinter uns fuhr und fest entschlossen war, die Frau neben mir zu töten, aus seiner Sicht ebenfalls nur einem Geschäft nachging. Es war ihm so ernst wie mir, er hatte genauso sorgfältig seine Verfahrensweisen studiert wie ich die meinen, er war schlau, lebensklug und gerissen, und er hatte mir gegenüber einen Vorteil: Seine Regeln unterlagen nicht denselben Beschränkungen wie meine – etwa der Verfassung und den Gesetzen.
    Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es ein Vorteil ist, im Recht zu sein. In all den Jahren meiner Tätigkeit habe ich nicht einen Mandanten verloren. Und ich hatte nicht vor, Alissa zu verlieren.
    Ein Geschäft … Was bedeutete, ruhig wie ein Chirurg, wie ein Pilot zu bleiben.
    Natürlich war Alissa nicht ruhig. Sie atmete
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