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Ein Clochard mit schlechten Karten

Ein Clochard mit schlechten Karten

Titel: Ein Clochard mit schlechten Karten
Autoren: Leo Malet
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hübsch ins
Gleichgewicht. Glück im Unglück, wenn man so will. Na ja, um in solchen
Kaninchenställen zu wohnen, muß man sich wohl ‘ne Menge dummes Zeug einreden!
    Aber kehren wir wieder zu den
Tatsachen zurück: Auf den Treppengeländern hing tatsächlich Wäsche zum
Trocknen. Wie optimistisch! Was unten abtropfte, tropfte der Scheißregen oben
wieder drauf.
    Von der Straße konnte man durch
einen Gitterzaun auf eine Art Vorhof sehen, der ziemlich gleichmäßig mit
Schlamm bedeckt war. Früher, so um ‘39, mußte das wohl mal ein Rasen gewesen
sein.
    Zwei Jungen standen mitten auf
dem „Rasen“ im Regen. Einer hustete ganz gefährlich. Sie sahen gedankenverloren
zu einem Fenster hoch, vor dem ein blauer Slip mit Volants frische Luft
schnappte. Abwechselnd blähte er sich in dem feuchten Wind auf und zog sich
zusammen, wie ein Herz.
    Ich trat durch das Gittertor.
Obwohl ich ganz leise war, witterten mich die Schlingel. Ertappt drehten sie
sich um. Sie rauchten, aber nur einer von beiden war so ungefähr in dem Alter,
in dem das mehr oder weniger erlaubt ist. Sie unternahmen einen ungeschickten
Versuch, die Kippen hinter dem Rücken zu verbergen.
    Ich schwang meine Pfeife und
sagte lachend:
    „Keine Panik, Jungs! Ich qualm
auch.“
    „Jaja“, lachte der Größere
zurück, ein Lümmel von etwa fünfzehn Jahren. Das pickelige Gesicht unter der
schiefsitzenden Schirmmütze sah vorzeitig gealtert aus. „Jaja...“ Hörte sich an
wie: ,Das heißt noch lange nichts’, und gemeint war
eine Gardinenpredigt, die ich eventuell auf Lager hatte. Sein Vertrauen in
Erwachsene schien nicht riesig. Wenn er sich dafür ein Sandwich kaufen wollte,
durfte er keinen großen Hunger haben...
    Sein Kumpel machte einen ganz
anderen Eindruck. Das leidende Engelsgesicht wirkte recht gefällig, die grauen
Augen melancholisch, mit beinahe femininen Wimpern. Weniger mißtrauisch als
sein Freund tippte er mit dem Zeigefinger an seine Mütze, die Kippe im
Schnabel. Prompt war der nächste Hustenanfall fällig.
    „Der kann überhaupt nicht
rauchen“, sagte der Ältere, die Zigarette jetzt ebenfalls lässig im Mundwinkel.
    „Und du bringst es ihm bei, hm,
Alter?“ fragte ich.
    Keine Antwort. Er war voll und
ganz damit beschäftigt, den Rauch durch seine zu lange Nase auszustoßen. Der
andere hustete schön weiter. Das kam bestimmt nicht nur vom Rauchen. Ich warf
einen Blick auf die Schuhe des Jungen. Weihnachten stand vor der Tür, aber
diese schäbigen Latschen konnte man keinem Kamin zumuten. Sahen aus wie zwei
gefräßige kleine Krokodile, die einem die Zähne zeigten. Vor einen ordentlichen
Kamin gehören ordentliche schöne Schuhe. Gut und schön, wie man so sagt. Also
keinen Kamin für den rauchenden Engel. Keinen Kamin, keinen Baum, die berühmte
alljährliche Traditionstanne mit Schmuck und Kerzen und dem ganzen Kram. Pah!
Zum Glück können sich nicht alle einen leisten. Vielleicht über kommt sie ja
mal das Verlangen danach...
    Ich schüttelte mich. Heraus
kamen ein paar passende Flüche. Der Grund dafür war wohl der Anblick des
Häuserblocks. Ich fing an zu bedauern, daß ich der Frau von Demessy ausgeredet hatte, mich in meinem Büro aufzusuchen. Aber ich seh mir gerne die Welt an und überrasche die Leute lieber in ihrer gewohnten
Umgebung. Manchmal hilft das. Na ja, Umgebung gab es hier reichlich. Aber was
konnte ich anderes erwarten als ein Gefühl von Niedergeschlagenheit?
Wohnblocks, die gleich neben diesem trüben Viereck liegen, neben den
Schlachthöfen von Vaugirard , dem Autofriedhof und dem
Fundbüro! Sicher, solche Einrichtungen sind von öffentlichem Nutzen, ich hab ja
gar nichts dagegen; aber zum Lachen gibt’s hier entschieden weniger als in den Folies-Bergère . Eher zum Kotzen. Ich schüttelte mich noch
einmal und verzog das Gesicht. Eigentlich war’s mir scheißegal. Schließlich
wohnte ich nicht hier. Mein Ausflug war rein beruflicher Natur. Allerdings wußte
ich jetzt schon, daß mir das bestimmt nicht genug einbringen würde, um mir mit
‘ner Tänzerin — zum Beispiel von den Folies-Bergère !
— einen flotten Abend zu machen. Aber die haben meistens sowieso was anderes
vor... Wie gesagt, Weihnachten stand vor der Tür, und schon mehr als einmal
hatte ich für Paul Demessy den Weihnachtsmann spielen
müssen. Angefangen damit, daß ich ihn vor einiger Zeit aus der Gosse gezogen
hatte.
    Ich blickte jetzt auch hoch zu
dem blauen Nylonslip. Sah aus, als würde Marilyn Monroe persönlich
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