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Ein Clochard mit schlechten Karten

Ein Clochard mit schlechten Karten

Titel: Ein Clochard mit schlechten Karten
Autoren: Leo Malet
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und ihren unglaublichen Tanz vorführen! Ein Stück Himmel in dem hoffnungslos
traurigen, düsteren Grau-in-Grau, ein flatternder Protest.
    Ich widmete mich wieder meinen
beiden Halbstarken. Der Hustenengel hustete nicht mehr. Hatte seine Kippe
weggeschmissen. Der andere grinste mich verschmitzt an.
    „Hübsches Teil, hm?“ bemerkte
er komplizenhaft . „Wollen Sie rauf, M’sieur ?“
    „Warum? Kann man da rauf?“
    Er wiegte den Kopf hin und her.
    „Wird erzählt...“
    „Aber genau weißt du das
nicht?“
    „Tja...“, sagte er zögernd.
    „Dann halt die Schnauze.“
    Er hielt sie aber nicht. Im
Gegenteil. Riß sie weit auf, sagte aber nichts. Die Kippe fiel aus seinem
Mundwinkel in eine Wasserpfütze und erlosch zischend. Ich wandte mich an das
Hustenmännchen:
    „Wohnst du hier, Toto? Toto
oder Pierre oder Paul...“
    „Henri, M’sieur .
Henri Lagrange. Ja, M’sieur , ich wohne hier.“
    „Madame Demessy .
Kennst du die?“
    „Ja, M’sieur .“
    „Kannst du mir auch sagen, wo
die wohnt?“
    Ich wußte es zwar, wollte ihn
aber ‘ne Kleinigkeit verdienen lassen. Sollte er sich doch von mir aus davon
die nächste Schachtel Zigaretten kaufen. Das würde er sowieso tun. Ich gehöre
nicht zu denen, die einem Clochard keinen Sou geben mit der Ausrede, daß der
nichts Besseres zu tun hat, als das Geld in Rotwein umzusetzen. Ein Glas
Rotwein kann manchmal nötiger sein als ein Stück Brot. Kommt ganz auf die
Umstände an.
    „Dritte Etage“, sagte mein
Engelchen und sah hoch. Stimmt genau. Das Fenster mit der gehäkelten Gardine,
als Muster zwei undefinierbare Tiere, dazu verdonnert, sich ewig und drei Tage
anzustarren. Der blaue Slip tanzte in dem Fenster darüber.
    „Vielen Dank, Kleiner.“
    Zweihundert
Francs waren fällig.
    „Danke auch, M’sieur “, sagte er und knüllte die zwei Scheine in seiner
kleinen Hand. „Ich bring Sie rauf.“
    Wir ließen den Großen mit der
Schirmmütze stehen und stiegen die rutschige Eisentreppe hinauf. Plötzlich ging
über uns ein Höllenspektakel los. Jemand donnerte die Treppen hinunter.
Riskierte Kopf und Kragen. Die Absätze knallten auf die lärmempfindlichen
Stufen. Von unten hörte man die Stimme der Großschnauze:
    „Gehst du in den Bal Nègre , Jeanne? Hast deinen
Slip vergessen... Machen die überhaupt schon so früh auf?“
    Wie der Wind schoß die
Angesprochene die Treppe runter. Am nächsten Absatz kriegten wir sie zu
Gesicht. Sie bremste ab, lehnte sich über das Geländer und keifte nach unten:
    „Ich kann mir mehrere kaufen,
du kleines Arschloch! Und der Bal Nègre geht dich ‘n Dreck an!“
    Dann setzte sie ihren freien
Fall fort. Als sie an uns vorbeiklapperte, lächelte sie. Ein junges Mädchen von
achtzehn, na ja, zwanzig Jahren, kastanienbraunes Haar unter einem Kopftuch,
blankgewetzte Kaninchenfelljacke, darunter ein Röckchen, das ihr nicht mal bis
zum Knie reichte, von der Stelle an plissiert, wo die geringste Bewegung einen
schwindlig macht. Die hübschen Beine steckten in feinen Nylonstrümpfen und die
Füße in hochhackigen Schuhen. Das Gesicht war ebenfalls hübsch, nicht zu
aufdringlich geschminkt. Nicht unelegant, diese Jeanne. Sie sprühte nur so vor
Gesundheit und Lebensfreude. War wohl die einzige hier in der Gegend. Lärmend
verschwand sie nach unten. Der Wind, der durch die Geländerstäbe pfiff, wehte ihr Parfüm zum Teufel. Ein feines, einschmeichelndes, dunkel
erotisches Parfüm, nicht gerade sparsam aufgetragen. Paßte gar nicht so recht zu der Kaninchenjacke. Dieselbe Duftnote hatte ich schon
häufiger bei Hélène schnuppern dürfen, meiner Sekretärin. Ziemlich teures Zeug.
Ich sah kurz hinunter auf den Hof. Das Mädchen versuchte, einen großen Bogen um
den Jungen zu machen. Der aber versperrte ihr den Weg. Sie wechselten ein paar
heftige Worte, und schon fing sich der freche Kerl ‘ne Ohrfeige. Wie ein
begossener Pudel stand er da im Dreck, die lange Nase in dem jetzt ebenfalls
langen Gesicht. Das Mädchen ging in Richtung Rue Olivier-de- Serres .
Irgendwo wurde ein Fenster aufgerissen, und eine heisere Frauenstimme schrie:
    „Fernand, jetzt reicht’s! Komm
endlich essen!“
    Der Vollständigkeit halber
wurden noch ein paar saftige Flüche nachgereicht, und der Junge verschwand
tatsächlich in einem der Häuser.
    Ich ging mit meinem
Fremdenführer weiter nach oben. Auf dem Treppenabsatz der dritten Etage kam uns
eine Frau entgegen. Ihre Wohnungstür stand offen.
    „Das ist M’ame Demessy , M’sieur
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