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Ein Clochard mit schlechten Karten

Ein Clochard mit schlechten Karten

Titel: Ein Clochard mit schlechten Karten
Autoren: Leo Malet
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“, sagte
der Kleine. „Danke.“
    „Wiedersehn, M’sieur .“
    „Wiedersehn.“
    Er drehte sich auf den
schiefgelaufenen Absätzen um und ließ uns allein. Ich nahm die Pfeife aus dem
Mund und den Hut vom Kopf.
    „Guten Tag, Madame“, begann
ich. „Mein Name ist Nestor Burma. Wir sind uns schon mal begegnet, aber nicht
jeder hat ein gutes Gedächtnis für Gesichter.“
    Ich verkniff mir die Bemerkung,
daß sich außerdem fast jeder im Laufe der Jahre verändert. Madame Demessy — der Titel war geklaut — hatte sich jedenfalls
seit unserer letzten Begegnung sehr verändert.
    „Guten Tag, Monsieur“,
antwortete sie. „Ich habe Sie sofort erkannt.“
    Ihre Stimme war tief und klang
träge. Überhaupt war die Frau vor mir eine ziemlich trübe Tasse, blond, weder
hübsch noch häßlich, mit Kuhaugen und geröteten Lidern. Typ Bauerntrampel mit
entsprechendem Fahrgestell, aber ohne entsprechende Farbe im Gesicht. Sah
ziemlich mitgenommen aus. Wenn ich mich recht erinnerte, hieß sie Hortense; und Demessy , weil sie ein braves Mädchen war. Mir zu
Ehren wahrscheinlich hatte sie sich in Schale geschmissen. Das Ergebnis war so
was Ähnliches wie ‘n Sonntagsstaat. Ihr Alter konnte ich schlecht schätzen.
Wußte nur noch, daß sie mit Riesenschritten auf die Vierzig zuging. Aber eins
sah man ihr an, wenn auch nicht an der Nasenspitze: sie war schwanger, und das
nicht erst seit fünf Minuten. Wußte ich aber auch schon.
    „Wo fehlt’s denn?“ fragte ich. Einigermaßen unpassend.
    „Kommen Sie doch rein“, sagte
sie anstelle einer Antwort.
    Das Eßzimmer war winzig klein, spärlich möbliert, aber peinlich sauber. Die Häkelgardine mit
den komischen Tieren machte das Ganze auch nicht fröhlicher, im Gegenteil. In
der Luft hing ein Geruch von Wasch- und Mottenpulver. Der erste kam aus der
Küche nebenan, der zweite aus den Sonntagskleidern. Kein Essensgeruch, obwohl
es Zeit zum Mittagessen war. Vielleicht hatte meine Gastgeberin keinen Hunger.
Und in der Einladung war schließlich davon nicht die Rede gewesen. Madame Demessy nahm mir den Hut aus der Hand und legte ihn auf den
Tisch. Dort wartete schon eine noch jungfräuliche Flasche Martini samt Glas,
offensichtlich extra für mich gekauft. Madame schob mir einen Stuhl hin.
    „Setzen Sie sich doch bitte,
Monsieur... Sie können gerne rauchen“, fügte sie hinzu, als sie die Pfeife in
meiner Hand sah. „Und wenn Sie etwas trinken möchten…“
    Ich steckte mir die Pfeife
wieder zwischen die Zähne und setzte mich. Auch sie setzte sich, träge und
schwer. Vorher hatte sie noch einen Blick in die Runde geschickt, so als sähe
sie das Zimmer hier zum ersten Mal. Dann hüstelte sie verlegen.
    „Es ist mir außerordentlich
peinlich“, begann sie schließlich, „daß ich Sie hier empfange... Nicht daß ich
mich wegen der Wohnung schäme, aber... na ja... äh... doch, ein wenig schäme
ich mich schon... Wir sind nicht reich...“
    Ich blies eine Rauchwolke in
die Luft.
    „Armut ist keine Schande“,
sagte ich. Reichtum auch nicht, dachte ich für mich. Das mit der Armut ist so
ein Allgemeinplatz fürs einfache Volk. Dringend nötig, um so manches zu
ertragen, wie ich vor ein paar Minuten gesehen hatte.
    Armut keine Schande! Zum Teufel
mit den Volksweisheiten! Dann ist Reichtum wohl ein Laster, das nicht billig zu
haben ist, oder?
    „Warum wollten Sie nicht, daß
ich Ihnen meine Sorgen in Ihrem Büro erzähle, M’sieur Burma?“
    Aus ihrer Stimme war ein
deutlicher Vorwurf zu hören. „Ich bin für meine Klienten da, nicht umgekehrt“,
zog ich mich aus der Affäre.
    Sie seufzte:
    „Ja, ja... Entschuldigen
Sie...“ Sie zeigte auf die Flasche. „Möchten Sie nichts trinken?“
    „Einen kleinen Schluck
vielleicht.“
    „Bedienen Sie sich?“
    Ich bediente mich. Es wurde ein
großer Schluck.
    „Ja, Sie sind für Ihre Klienten
da“, wiederholte sie, während ich schluckte. „Oder vielleicht haben Sie
gemerkt... Sie haben’s bestimmt gemerkt... Sie haben angenommen, daß ich Sie
hinter Pauls Rücken angerufen habe, und das hat Ihnen nicht gefallen, und Sie
haben sich gesagt, wenn Sie herkommen...“ Sie schüttelte den Kopf. „Wie dumm
von mir... Zu glauben, daß Sie mir helfen werden...“
    Ich stellte das Glas auf den
Tisch.
    „Aber, aber! Immer mit der
Ruhe... Warum zum Teufel sollte ich Ihnen nicht helfen? Ob hinter Pauls Rücken
oder nicht... Wo ist er übrigens?“
    Sie faltete ihre abgearbeiteten
dicken Hände vor ihrem runden Bauch.
    „Das
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