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Ein Clochard mit schlechten Karten

Ein Clochard mit schlechten Karten

Titel: Ein Clochard mit schlechten Karten
Autoren: Leo Malet
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einer anderen Frau abgehaun ist
oder mich nicht mehr wiedersehen will... wegen dem Kind, das ich im Bauch
habe... dann werden nicht ausgerechnet Sie, ein Freund von ihm...“
    Sie beendete ihren Satz nicht.
Holte tief Luft und hielt sie an.
    „Also“, sagte ich. „Ist er nun
mit einer anderen durchgebrannt oder allein abgehaun ?
Haben Sie Gründe, mehr an das eine oder an das andere zu glauben?“
    „Ach, ich weiß gar nichts mehr,
und dann... Ich bin’s leid, so leid! Die Männer halten
zusammen. Wie dumm von mir, das Gegenteil anzunehmen. Gehen Sie jetzt, M’sieur . Entschuldigen Sie, daß ich Sie belästigt habe.“
    Die Stimme versagte ihr. Sie
schlug die Hände vors Gesicht und brach in hysterisches Schluchzen aus. Ich
ließ sie nach Herzenslust schluchzen. Das erleichtert. Es tat ihr gut. Sobald
sie sich ausgeschüttet hatte, konnte man vielleicht vernünftiger mit ihr reden.
    Der Himmel ließ Hortense Demessy nicht im Stich. Auch er öffnete seine Schleusen. Es
goß jetzt in Strömen. Sogar der Wind drehte noch auf. Er heulte ums Haus und
pfiff durch den Käfig der Außentreppe. Der Regen wurde gegen die
Fensterscheiben gepeitscht. Die beiden zoologischen Häkelmonster schienen sich
darüber lustig zu machen. Sie kriegten ja keine nassen Füße. In den
Fensterrahmen knarrte es arthri -tisch.
    Mit der Zeit beruhigte sich die
Frau wieder. Endlich nahm sie die Hände vom Gesicht und ließ sie auf ihren
gesegneten Leib sinken. Sie hob den Kopf und sah mich durch den Tränenschleier
hindurch an.
    „Sie sind ja noch da“, stellte
sie erstaunt fest.
    „Ja, ich bin immer noch da“,
bestätigte ich. „Und wenn ich weggehe, dann nur, um wiederzukommen. Und wenn
ich wiederkomme, bringe ich Ihren Mann mit. Und wenn ich ihn nicht mitbringe,
brauchen Sie sich trotzdem um Ihre Zukunft und die Ihres Kindes keine Sorgen zu
machen. Ich werd ihn schon dazu zwingen, seinen
Verpflichtungen nachzukommen. Demessy schuldet mir so
einiges. Hab ihn aus der Gosse geholt. Ohne mich würde er immer noch unter den
Brücken schlafen. Das werd ich ihm wieder in
Erinnerung bringen.“
    „Ja“, seufzte sie halbherzig
und trocknete mit dem Taschentuch die Tränen. „Ja, er hat mir erzählt, daß er
Clochard war und Sie ihn da rausgeholt haben. Aber... deswegen, ja...“ Sie schneuzte sich wieder. „Sie waren bestimmt dicke Freunde,
daß Sie...“
    Die Zweifel kehrten zurück. Ich
wischte sie mit einer Handbewegung zur Seite.
    „Sie täuschen sich“, sagte ich.
„Weder dick noch Freunde. Hatten uns vorher noch nie gesehen. Rein zufällig hab
ich ihn an der Place Maubert getroffen, zusammen mit
anderen Pennern. Er war mir von Anfang an sympathisch. Deswegen versteh ich
auch sein jetziges Verhalten nicht. Natürlich, man kann sich ändern, wie Sie
schon sagten. Und wenn sich ein Kind ankündigt, sind die Leute meistens kaum
wiederzuerkennen. Aber so mancher Familiengegner verwandelt sich ins Gegenteil,
wenn das Kind erst mal da ist. Verblödung im Kreis der Familie nennt man das.
Ein Teufelskreis manchmal...“
    „Ich dachte, man kommt nur
schwer wieder raus“, flüsterte sie, ganz in Gedanken.
    „Wo raus? Aus dem
Familienkreis?“
    „Aus der Gosse.“
    „Da kommt man nie raus“,
erwiderte ich entschieden. „Nie! Nur unter ganz besonderen Umständen. Demessy hatte Glück im Unglück, das ist alles. Ich brauchte
einen, auf den bestimmte Dinge zutrafen. Und auf Demessy trafen sie zu. Auf andere Clochards auch, aber er war mir am sympathischsten,
am wenigsten hoffnungslos.“
    „Waren Sie damals bei der
Heilsarmee?“
    „Nein“, lachte ich.
„Privatdetektiv, wie jetzt. Aber ich gehörte einer Art Organisation an zur
Wiederbelebung von Clochards, die’s verdient haben.“
    „Und Sie haben ihm Arbeit
besorgt?“
    „Ja.“
    „Und war das... äh...“ Sie
zögerte. „War das eine ehrliche Arbeit?“
    „Es war eine ehrliche
Arbeit“, versicherte ich ihr. Entsprach sogar fast der Wahrheit. „Warum fragen
Sie?“
    „Ich weiß nicht. Aber er hat
mir nie richtig erzählt, wie Sie ihn wieder auf die Beine gestellt haben. Darf
man Geheimnisse haben unter Leuten, die... die sich lieben, die zusammenleben?“
    „Vergessen Sie’s“, riet ich
ihr. „Das sind alte Geschichten.“ Auf ihren mißtrauischen Blick hin gab ich noch weitere Erklärungen, die keine waren.
    „Die Arbeit hatte was mit
meinem Beruf zu tun. Das mit der Organisation zur Wiederbelebung von Clochards
sollte nur ‘n Scherz sein. Demessys Arbeit war
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