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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
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vorgehen.«
    »Es ist angerichtet,« meldete das Dienstmädchen.
    Das Eßzimmer war in Palisander möbliert: Tisch, Büfett und acht
Stühle. Rosalie schloß die roten Ripsvorhänge, und eine Hängelampe
aus weißem Porzellan in einem kupfernen
Ringe beleuchtete jetzt die Tafel, das Gedeck und die dampfende
Suppe. Jeder Dienstag brachte das gleiche Tischgespräch. Aber heute
plauderte man natürlich vom Doktor Deberle. Der Abbé Jouve hielt
ihm eine große Lobrede, obgleich der Doktor nicht gerade zu den
frommen Leuten des Viertels gehörte. Er nannte ihn einen Mann von
gradem Charakter, mildtätigem Herzen, einen sehr guten Vater und
Ehemann, der in jeder Hinsicht das beste Beispiel gebe. Frau
Deberle dagegen wäre eine ausgezeichnete Dame, trotz ihrer etwas
lebhaften Umgangsformen, die sie ihrer Pariser Erziehung verdanke.
Mit einem Worte: ein reizendes Ehepaar. Helene schien glücklich,
sie hatte die Leute ebenso beurteilt. Was der Abbé sagte, schloß
die stille Aufforderung ein, Beziehungen fortzusetzen, die Helene
zu Anfang ein wenig erschreckt hatten.
    »Sie schließen sich zuviel ab,« erklärte der Priester.
    »Ohne Zweifel,« bekräftigte Herr Rambaud.
    Helene sah sie mit ihrem ruhigen Lächeln an, als wollte sie
sagen, daß die beiden Gäste ihr genügten und daß sie vor jeder
neuen Freundschaft zurückschrecke. Es schlug zehn Uhr. Der Abbé und
sein Bruder griffen nach ihren Hüten. Jeanne war auf einem Stuhl in
der Kammer bereits eingeschlafen. Die Männer gingen auf Fußspitzen
hinaus und sagten im Vorzimmer leise:
    »Also heut über acht Tage.«
    »Ich vergaß,« sagte der Abbé, die Stufen wieder hinaufsteigend,
»Mutter Fetu ist krank, Sie sollten ihr einen Besuch machen.«
    »Ich will morgen hingehen,« antwortete Helene.
    Der Abbé schickte sie gern zu seiner Amme. Sie hatten mancherlei
Gespräche zusammen, besondere Geschäfte, vondenen sie niemals vor den Leuten sprachen. Am andern
Vormittag ging Helene allein aus. Sie vermied es, Jeanne
mitzunehmen, seit das Kind bei einem Krankenbesuche ohnmächtig
geworden war.
    Sie ging die Rue Vineuse entlang, bog in die Rue Raynouard und
von da in die Passage des Eaux. Es ist dies ein seltsamer
Treppengang zwischen den Mauern anstoßender Gärten, eine schmale
Gasse, die von den Höhen von Passy auf den Kai hinabführt.
Unterhalb dieser Steigung wohnte in einem zerfallenen Hause Mutter
Fetu in einer Mansarde, die ihr Licht durch ein rundes Dachfenster
erhielt. Bis auf ein ärmliches Bett, einen wackeligen Tisch und
einen Stuhl, dem das Rohrgeflecht fehlte, war der Raum leer.
    »Ach, meine liebe Dame!« begann Frau Fetu zu seufzen, als sie
Helene kommen sah.
    Die Alte war bettlägerig. Gedunsen und fett trotz ihres Elends,
geschwollen und aufgebläht, zog sie mit ihren groben Händen den
Tuchfetzen über sich, der ihr als Decke diente. Sie hatte kleine
pfiffige Augen und eine weinerliche Stimme.
    »Ach, meine liebe Dame! ich dank Ihnen! Oh, da, da, was hab ich
für Schmerzen! 's ist, als ob mir Hunde in den Seiten nagten …
da sitzt's, sehen Sie … die Haut ist recht angegriffen, das
Übel sitzt innen. Seit zwei Tagen schon läßt's mir keine Ruhe. Ob's
wohl möglich ist, du lieber Gott, so viel leiden zu müssen! Oh! Ich
dank Ihnen, liebe Dame! Sie vergessen die Armen nicht – der Himmel
wird's Ihnen vergelten!«
    Helene hatte sich gesetzt. Als sie einen Topf mit dampfendem Tee
auf dem Tische sah, füllte sie eine Tasse und reichte sie der
Kranken. Neben dem Topfe lagen ein Päckchen
Zucker, zwei Apfelsinen und Süßigkeiten.
    »Man hat Ihnen schon einen Besuch gemacht?«
    »Ja, ja, eine kleine Dame. Aber die weiß nicht, was unsereins
braucht. Ach! wenn ich ein bißchen Fleisch hätte! Die Nachbarsfrau
würde es mir mit aufs Feuer setzen… Oh! jetzt zwickt es wieder
stärker. Wirklich, ganz so, als ob ein Hund… Ach! wenn ich ein
bißchen Fleischbrühe hätte!«
    Und trotz der quälenden Schmerzen verfolgte sie Helene, die in
ihrer Tasche suchte, mit ihren pfiffigen Augen. Als sie sah, daß
Helene ein Zwanzigfrankenstück auf den Tisch legte, erhob sie ein
noch kläglicheres Lamento und machte Anstrengungen, sich in die
Höhe zu richten. Und dabei gelang es ihr recht gut, den Arm nach
dem Geldstück auszustrecken, welches rasch verschwunden war,
während sie weiter klagte und jammerte.
    »Ach Gott! wieder ein Anfall. Nein, ich kann's nicht länger mehr
aushalten. Gott wird's Ihnen lohnen, gute Frau. Ach! mir schneidet
und reißt's im ganzen
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