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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
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Mädchens ein Dorn im
Auge war. Helene berichtete auch von der stillen und heimlichen
Hochzeit, von ihrem eingeschränkten, kümmerlichen Leben, das sich
erst besserte, als ein Oheim starb, der ihnen zehntausend Franken
Rente verschrieben hatte. Damals hatte Grandjean, dem Marseille
verleidet war, den Entschluß gefaßt, nach Paris zu gehen.
    »Wie alt waren Sie denn, als Sie heirateten?« fragte Frau
Deberle.
    »Siebzehn.«
    »Sie müssen sehr schön gewesen sein.«
    Die Unterhaltung stockte. Helene schien gar nicht hingehört zu
haben.
    »Frau Manguelin,« meldete der Diener.
    Eine junge Frau erschien, behutsam und verlegen. Frau Deberle
erhob sich kaum. Es war eine der unter ihrem besonderen Schutze
stehenden Personen, die sich für irgend etwas bedanken wollte. Sie
blieb nur wenige Minuten und zog sich mit einer Verbeugung
zurück.
    Nun begann Frau Deberle die Unterhaltung von neuem. Sie kam auf
den Abbé Jouve zu sprechen, den beide kannten. Er gehörte zur
niederen Geistlichkeit von Notre-Dame-de-Grâce, der Pfarre von Passy. Seine
Mildtätigkeit machte ihn zum beliebtesten und gern gehörten
Priester des Stadtviertels.
    »Er ist sehr freundlich zu uns gewesen,« sagte Helene. »Mein
Mann hatte schon in Marseille seine Bekanntschaft gemacht. Sobald
ihm mein Unglück zu Ohren gekommen war, hat er keine Mühe gescheut.
Ihm hab ich zu danken, daß ich in Passy Unterkommen gefunden
habe.«
    »Hat er nicht einen Bruder?« fragte Juliette.
    »Ja, seine Mutter hatte sich zum zweitenmal verheiratet. Herr
Rambaud war ebenfalls ein Bekannter meines Mannes. Er hat in der
Rue de Rambuteau ein großes Delikatessen- und Südfrüchtegeschäft.
Er verdient, glaube ich, viel Geld.«
    Dann setzte sie munter hinzu:
    »Der Abbé und sein Bruder bilden meinen einzigen Hofstaat.«
    Jeanne, die sich auf ihrem Stuhlrande langweilte, schaute
ungeduldig zur Mutter auf. Ihr feines Gesichtchen drückte Schmerz
aus, als ob ihr alles leid täte, was hier gesprochen wurde.
    Frau Deberle merkte das Unbehagen des Kindes.
    »Ei! Ein kleines Fräulein, dem es langweilig ist, verständig
dazusitzen wie eine große Dame. Da sind Bilderbücher, mein Kind –
auf dem Schränkchen da!«
    Jeanne holte sich ein Album, aber ihre Blicke glitten flehend
über das Buch zur Mutter. Helene, umstrickt vom Wohlbehagen, in
dessen Mitte sie weilte, rührte sich nicht; sie war bei Besuchen
hartnäckig und blieb gern stundenlang sitzen. Als der Diener aber
jetzt nacheinander drei Damen meldete, Frau Berthier, Frau de
Guiraud und Frau Levasseur, glaubte sie aufbrechen zu sollen.
    »Aber, bitte, bleiben Sie doch – ich muß
Ihnen doch meinen Jungen zeigen,« rief Frau Deberle lebhaft.
    Der Kreis vorm Kamin erweiterte sich. Alle Damen sprachen auf
einmal. Eine war darunter, die sagte, sie sei wie gerädert, und
erzählte, daß sie seit fünf Tagen nicht vor vier Uhr morgens ins
Bett gekommen sei. Eine andere beklagte sich bitter über die Ammen;
man fände keine einzige anständige Frauensperson mehr unter ihnen.
Dann kam die Unterhaltung auf die Näherinnen. Frau Deberle stellte
die Behauptung auf, daß keine Frau ordentliche Damenkleider machen
könne, dazu müsse man einen Mann nehmen. Zwei Damen tuschelten
halblaut, und als Stille eintrat, hörte man drei, vier Worte: alle
begannen zu lachen und fächelten sich mit den Fächern Kühlung
zu.
    »Herr Malignon,« meldete der Diener.
    Ein langer junger Mensch trat ein, der sehr gewählte Kleidung
trug. Er wurde erfreut begrüßt. Frau Deberle streckte ihm, ohne
aufzustehen, die Hand entgegen:
    »Nun! Gestern im Vaudeville?«
    »Abscheulich!«
    »Wie, abscheulich!… Sie ist wunderbar, wenn sie sich in ihr
Korsett sticht und den Kopf zurückwirft.«
    »Hören Sie auf! … Dieser Realismus ist scheußlich!«
    Die Diskussion begann. Realismus wäre sehr schnell gesagt. Aber
der junge Mann wollte von Realismus gar nichts hören.
    »In keiner Hinsicht, hören Sie!« sagte er, die Stimme hebend,
»in keiner Hinsicht! Realismus verdirbt die Kunst.«
    Der junge Mann räkelte sich mitten unter sich spreizenden
Frauenröcken in einem Lehnstuhl. Er schien »bei Doktors« sehr intim
zu sein. Er hatte mechanisch eine Blume aus
einem Topfe gepflückt und kaute sie. Frau Deberle fragte:
    »Haben Sie den Roman … ?«
    Aber er ließ sie nicht aussprechen und antwortete überlegen:
    »Ich lese nur zwei Romane im Jahr.«
    Als so alle Gesprächsgegenstände des Tages erschöpft waren,
lehnte er sich an das kleine Sofa Juliettes,
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