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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
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Doktors
ihrerseits Helene, überrascht und von ihrer hohen Schönheit
entzückt. Niemals hatte sie ein Weib mit einer so königlichen
Miene, in solchem schwarzen Kleide, welches die hohe und strenge
Witwengestalt verhüllte, gesehen. Ihre Bewunderung schuf sich in
einem unwillkürlichen Lächeln Ausdruck, während sie mit Fräulein
Aurélie einen Blick wechselte. Beide musterten jetzt die Besucherin
mit so naivem Entzücken, daß Helene lächeln mußte.
    Nun reckte sich Frau Deberle auf ihrem Sofa, und den am Gürtel
hängenden Fächer fassend, fragte sie:
    »Sind Sie gestern im Vaudeville gewesen, Madame?«
    »Ich gehe niemals ins Theater,« erwiderte Helene.
    »Oh! Die kleine Nannie ist herrlich gewesen, herrlich! Sie
stirbt mit einem Realismus! Da sehen Sie! So durchbohrt sie sich
das Korsett, wirft den Kopf zurück und wird ganz grün… Die Wirkung
war großartig.«
    Die Tür öffnete sich, der Diener meldete:
    »Frau von Chermette – Frau Tissot… «
    Zwei Damen traten in großer Toilette ein.
Frau Deberle ging ihnen entgegen. Die Schleppe ihres schwarzen, mit
Besatz überladenen Kleides war so schwer, daß sie ihr mit einem
Hackenstoß aus dem Wege ging, sobald sie sich umwandte. Nun hörte
man rasches Geplapper von Flötenstimmen.
    »Wie liebenswürdig Sie sind!«
    »Man sieht Sie ja gar nicht… «
    »Wir treffen uns doch bei der Lotterie, nicht wahr?«
    »Gewiß! Gewiß!«
    »Oh! Wir können nicht Platz nehmen. Wir müssen noch in zwei
Dutzend Häusern Besuch machen.«
    »Aber Sie werden doch nicht gleich wieder davonlaufen
wollen?«
    Und schließlich setzten sich die Damen auf den Rand eines Sofas.
Nun wurden die Flötenstimmen, um ein weniges schärfer, wieder
laut.
    »Nun, auch gestern im Vaudeville?«
    »Oh! es war herrlich!«
    »Man behauptet, sie verschlucke es, daher die grüne Farbe!«
    »Nein, nein – die Posen sind prächtig. Aber sie mußten doch erst
studiert werden … «
    »Es ist wunderbar! wunderbar!«
    Die beiden Damen hatten sich erhoben und verschwanden. Der Salon
fiel in seine frühere Ruhe zurück. Auf dem Kamin verströmten
Hyazinthen durchdringenden Wohlgeruch. Einen Augenblick hörte man
das Zanken einer Schar Sperlinge, die sich auf einem Rasenfleck
herumbalgten. Frau Deberle zog den gestickten Tüllvorhang am
Fenster ihr gegenüber hoch. Dann setzte sie sich wieder mitten in
das Gold ihres Salons.
    »Ich bitte um Entschuldigung – man wird so
überlaufen … «
    Affektiert begann sie nun mit Helene zu plaudern. Sie schien
deren Geschichte teilweise zu kennen, wahrscheinlich durch den
Klatsch in dem ihr gehörenden Hause. Mit taktvoller Kühnheit, in
die sich sogar Freundschaft zu drängen schien, erzählte Helene von
ihrem Manne, von jenem schrecklichen Tode in einem Gasthofe, dem
Hotel du Var in der Rue Richelieu.
    »Und Sie waren eben angekommen, nicht wahr? Waren noch niemals
vorher in Paris gewesen? Das muß fürchterlich sein, solcher
Trauerfall bei unbekannten Leuten. Am Morgen nach einer langen
Reise, und wenn man noch nicht einmal weiß, wohin man den Fuß zu
setzen hat… «
    Helene wiegte leise den Kopf, sie hatte schreckliche Stunden
durchlebt. Die Krankheit, welche ihren Mann hinraffen sollte, war
ganz plötzlich zum Ausbruch gekommen, am Morgen nach ihrer Ankunft,
grade als sie zusammen hatten ausgehen wollen. Sie kannte keine
Straße, wußte nicht einmal, in welchem Stadtviertel sie sich
befand. Und acht Tage lang war sie mit dem todkranken Manne
eingesperrt geblieben. Während sie ganz Paris unter ihrem Fenster
hatte toben hören, war sie auf sich allein angewiesen, verlassen,
einsam. Als sie zum ersten Male wieder den Fuß auf den Bürgersteig
gesetzt, war sie Witwe. Der Gedanke an jenes große kahle, mit
Arzneiflaschen gefüllte Zimmer, in dem noch nicht einmal die Koffer
ausgepackt waren, verursachte ihr jetzt noch Schauder.
    »Ihr Gemahl, hat man mir gesagt, war etwa doppelt so alt wie
Sie?« fragte Frau Deberle mit dem Ausdruck tiefer Anteilnahme, während Fräulein Aurélie die Ohren
spitzte, um kein Wort zu verlieren.
    »Oh, nicht doch,« antwortete Helene, »er war kaum sechs Jahre
älter als ich.«
    Und dann verlor sich Helene in die Erzählung ihres Ehelebens.
Sie sprach von der tiefen Liebe, welche ihr Mann für sie gefühlt,
als sie noch bei ihrem Vater, dem Hutmacher Mouret, in der Rue des
Petites in Marseille wohnte. Sie verschwieg nicht den hartnäckigen
Widerstand der Familie Grandjean, einer reichen
Zuckersiederfamilie, welcher die Armut des
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