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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
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mit der er ein paar
leise Worte wechselte, während die anderen Damen lebhaft
weiterplauderten.
    »Ach! da ist er schon fort!« rief Frau Deberle, sich umwendend.
»Vor einer Stunde hatte ich ihn bei Frau Robinot getroffen.«
    »Ja, und er geht jetzt zu Frau Lecomte,« sagte Frau Berthier.
»Oh! er ist der geschäftigste Mann von ganz Paris.«
    Die Damen empfahlen sich. Als Frau Deberle zurückkam, fand sie
Helene im Salon stehend. Jeanne drängte sich dicht an ihre Mutter
und zog sie mit zuckenden, schmeichelnden Fingern zur Tür.
    »Ach, 's ist ja wahr!« Die Hausherrin läutete dem Diener.
    »Pierre! Bitten Sie Fräulein Smithson, Lucien
hereinzuführen!«
    Über solchem Augenblick des Wartens tat sich die Tür von neuem
auf, vertraulich, ohne daß man jemand gemeldet hatte. Ein hübsches
Mädchen von sechzehn Jahren trat ein, gefolgt von einem Greise mit
dickem, rotem Gesicht.
    »Guten Tag, Schwester,« sagte das junge Mädchen, Frau Deberle
küssend.
    »Guten Tag, Pauline! Guten Tag, Vater!«
    Fräulein Aurélie, die noch immer in ihrer
Kaminecke saß, stand auf, Herrn Letellier zu begrüßen. Ihm gehörte
auf dem Boulevard des Capucines ein großes Seidenwarenlager. Seit
dem Tode seiner Frau führte er seine jüngste Tochter auf der Suche
nach einer guten Partie überall hin.
    »Du warst gestern im Vaudeville?« fragte Pauline.
    »Oh! wunderbar!« wiederholte Juliette mechanisch. Sie stand vor
einem Spiegel, damit beschäftigt, eine rebellische Locke an ihren
rechten Platz zu bringen.
    Pauline zog nach Art verzogener Kinder einen Flunsch.
    »Es ist recht verdrießlich, ein gutes Mädchen zu sein! Nichts
darf man sehen! Ich bin mit Papa gegen zwölfe bis ans Tor gegangen,
um zu erfahren, wie das Stück abgelaufen sei.«
    »Ja,« meinte der Vater, »wir sind da Malignon begegnet. Er fand
es ausgezeichnet.«
    »Da seht!« rief Juliette. »Vor einer Stunde war er hier und fand
es abscheulich … Man weiß doch nie, was man von ihm zu denken
hat.«
    »Du hast viel Besuch gehabt?« fragte Pauline, das Thema
wechselnd.
    »Oh! eine närrische Gesellschaft, all diese Damen! Das hat gar
kein Ende genommen … ich bin wie tot! … «
    Dann besann sie sich, daß sie vergessen hatte, die förmliche
Vorstellung zu erledigen, und unterbrach sich:
    »Mein Vater, meine Schwester – Frau Grandjean!«
    Man begann ein Gespräch über die Kinder, die ihren Müttern so
viel Sorge machten. Endlich kam Fräulein Smithson, die englische
Erzieherin, mit einem kleinen Knaben an der Hand. Frau Deberle
richtete rasch ein paar Worte auf englisch an sie, und machte sie
herunter, weil sie so lange auf sich habe warten lassen.
    »Ah! da ist ja mein kleiner Lucien!« rief
Pauline und ließ sich mit gewaltigem Stoffrauschen vor dem Kinde
auf die Knie.
    »Laß ihn! laß ihn!« sagte Juliette. »Komm her, Lucien! Du sollst
dem kleinen Fräulein da guten Tag sagen.«
    Der kleine Junge trat verlegen vor. Er war noch keine sieben,
dick, untersetzt und wie eine Puppe angezogen. Als er merkte, daß
alle ihn lächelnd ansahen, blieb er stehen und schaute mit seinen
verwunderten Augen prüfend auf Jeanne.
    »Geh doch!« ermunterte die Mutter.
    Er richtete einen fragenden Blick auf sie und tat noch einen
Schritt weiter, den Hals zwischen den Schultern, mit den leicht
gerunzelten Brauen. Verstohlen blickten die Schelmenaugen. Jeanne
schien ihn einzuschüchtern, weil sie weiß und blaß und ganz in
Schwarz gekleidet war.
    »Mein Kind, du mußt auch liebenswürdig sein,« sagte Helene, als
sie die abwehrende Haltung ihrer Tochter sah.
    Die Kleine hatte ihre Mutter noch nicht losgelassen. Mit
gesenktem Kopfe beobachtete sie Lucien mit der ängstlichen Miene
eines nervösen, wenig an Gesellschaft gewöhnten Kindes, das bereit
ist, beim ersten Annäherungsversuch davonzulaufen.
    »Fräulein Jeanne, Sie müssen ihn umarmen,« rief lachend Frau
Deberle. »Damen müssen immer den Anfang machen. Oh! Der dumme
Junge!«
    »Umarm ihn doch, Jeanne!« mahnte Helene.
    Das Kind richtete die Augen auf ihre Mutter, dann war's, als ob
das schüchterne Wesen des kleinen Jungen ihr Herz gewönne. In
plötzlicher Zärtlichkeit lächelte sie lieblich und ihr Gesicht
hellte sich auf.
    »Gern, Mama,« murmelte sie.
    Und Lucien bei den Schultern fassend, hob sie
ihn beinahe vom Boden auf und küßte ihn derb auf beide Wangen. Er
hätte sie nun gern wieder küssen mögen…
    »So ist's recht!« riefen die Zuschauer.
    Helene verabschiedete sich und schritt, begleitet von
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