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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
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Frau
Deberle, zur Tür.
    »Ich bitte Sie recht sehr, Madame, sprechen Sie dem Herrn Doktor
meinen innigsten Dank aus – er hat mich vorgestern nacht von
tödlicher Unruhe befreit.«
    »Ist Henri noch nicht da?« fragte Herr Letellier.
    »Nein, er wird erst spät nach Hause kommen,« antwortete
Juliette.
    Und als sie sah, daß Fräulein Aurélie aufstand, um mit Frau
Grandjean fortzugehen, fügte sie hinzu:
    »Aber Sie bleiben doch zu Tische bei uns, das ist doch
ausgemacht!«
    Die alte Jungfer, die jeden Sonnabend auf diese Einladung
wartete, entschloß sich, Umschlagetuch und Hut abzulegen. Es war im
Salon zum Ersticken heiß. Herr Letellier hatte ein Fenster geöffnet
und betrachtete einen schon knospenden Fliederstrauch. Pauline
spielte mit ihrem kleinen Neffen Lucien zwischen den durch die
Besuchsgäste aus der Ordnung gerückten Stühlen und Sesseln.
    Auf der Schwelle reichte Frau Deberle Helene die Hand mit einer
Geste freundschaftlicher Herzlichkeit.
    »Sie erlauben doch. Mein Mann hat mir von Ihnen erzählt. Ich
fühlte mich gleich zu Ihnen hingezogen. Ihr Unglück, Ihre
Einsamkeit… Oh! ich bin wirklich glücklich, daß ich Sie gesehen
habe, und rechne darauf, daß es nicht bei diesem ersten Male
bleiben wird.«
    Ihre Hände ruhten ineinander; sie schauten sich lächelnd an.
Juliette gestand den Grund solcher raschen Freundschaft.
    »Sie sind so schön, daß man Sie lieben
muß!«
    Helene lachte fröhlich. Ihre Schönheit schuf ihr keine Unruhe.
Sie rief Jeanne, die aufmerksam dem Spiele Luciens mit Pauline
zusah. Frau Deberle hielt das kleine Mädchen noch einen Augenblick
zurück.
    »Ihr seid von jetzt an gute Freunde! sagt einander
Lebewohl!«
    Und die beiden Kinder warfen sich auf den Fingerspitzen
Kußhändchen zu.

Kapitel 3
     
    Jeden Dienstag speisten Herr Rambaud und der Abbé Jouve bei
Helene. Sie hatten sich in den ersten Tagen ihres Witwenstandes bei
ihr mit freundschaftlicher Ungezwungenheit Zutritt verschafft, um
sie wenigstens einmal in der Woche der Einsamkeit zu entreißen.
Später waren diese Dienstagsbesuche zur Regel geworden. Die Gäste
fanden sich pünktlich um sieben Uhr mit der ruhigen Erwartung ein,
die eine gern geübte Pflicht verleiht.
    An diesem Abend saß Helene, mit einer Näharbeit beschäftigt, am
Fenster, das letzte Dämmerlicht nützend, und wartete auf ihre
Gäste. Ihre Blicke schweiften über Paris, über das sich dichter
Schatten breitete. Es war schon völlig finster, als Rosalie mit der
Lampe hereinkam.
    »Die Herren kommen wohl heute nicht?«
    Helene sah nach der Uhr.
    »Es fehlen noch sieben Minuten an ein Viertel auf acht. Sie
werden schon kommen.«
    Der Abbé Jouve hatte Rosalie auf dem Orleans-Bahnhof für Helene
angeworben, am Tage ihrer Ankunft, als sie noch keinen Stein in
Paris kannte. Ein alter Schulfreund vom Seminar, der Pfarrer in
einem Dorfe bei Orleans war, hatte sie ihm empfohlen. Sie war
untersetzt und dick, hatte ein rundes Gesicht, schwarzes grobes
Haar, eine breitgedrückte Nase und einen roten Mund.
    »Ah! da kommt Herr Rambaud!« rief sie, die Türe öffnend, bevor
es noch geklingelt hatte.
    Herr Rambaud war groß, breit, ein echter
Provinzler mit frischem Gesicht. Er war fünfundvierzig Jahre und
schon ergraut, aber seine großen blauen Augen zeigten noch die
verwunderte, unschuldige Miene eines Kindes.
    »Und da ist der Herr Abbé, unsere Gesellschaft ist vollzählig
zur Stelle!« lächelte Rosalie, die Tür von neuem öffnend.
    Während Herr Rambaud, nachdem er Helene die Hand gedrückt, mit
der Freude eines Menschen, der sich zu Hause fühlt, Platz nahm,
hatte Jeanne sich dem Abbé an den Hals geworfen.
    »Guten Tag, mein lieber Freund! Ich bin recht krank
gewesen.«
    »Recht krank, mein liebes Kind!«
    Die Besucher zeigten sich beunruhigt, besonders der Abbé, ein
dürres Männchen mit großem Kopfe, gänzlich, schwarz gekleidet;
seine halbgeschlossenen Augen weiteten sich und füllten sich mit
einem hellen Schimmer von Zärtlichkeit. Jeanne, die ihm ihre Hand
ließ, hatte die andere Herrn Rambaud gereicht. Helene mußte über
den Anfall berichten. Der Abbé wäre fast böse geworden, weil sie
ihn nicht benachrichtigt habe. Man bestürmte sie mit Fragen: jetzt
wäre es doch gewiß vorbei? Das Kind hätte nichts davongetragen? Die
Mutter lächelte.
    »Sie lieben das Kind mehr als ich!« sagte sie. »Nein, sie hat
seitdem keine Schmerzen gehabt – nur noch etwas Schwere im Kopf –
aber dagegen wollen wir von jetzt an mit Energie
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