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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
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Körper. Der Herr Abbé hatte mir versprochen,
daß Sie kommen würden. Bloß Sie wissen, was einem guttut. Ich werde
mir ein Stückchen Fleisch holen lassen. Da! jetzt zieht's in die
Schenkel. Helfen Sie mir! Ich kann nicht mehr, ich kann nicht
mehr!«
    Die Kranke wollte sich umdrehen. Helene zog die Handschuhe aus,
faßte so sanft wie möglich zu und bettete sie um. Unterdes öffnete
sich die Türe. Helene war so überrascht, Doktor Deberle eintreten
zu sehen, daß ihr die Röte in die Wangen stieg. Machte er denn auch
Besuche, von denen er nicht sprach?
    »Das ist der Herr Doktor!« ächzte die Alte. »Oh! Sie sind alle so gut, so gut! Möge der Himmel Sie
segnen!«
    Der Doktor hatte Helene höflich begrüßt. Mutter Fetu jammerte,
seit der Arzt eingetreten, nicht mehr so heftig. Sie hatte recht
gut gemerkt, daß die Dame und der Doktor sich kannten. Sie ließ
keinen Blick von ihnen. Ihre Augen gingen vom einen zum andern und
es arbeitete in den tausend Runzeln ihres Gesichtes. Der Doktor
richtete einige Fragen an die Patientin und untersuchte die rechte
Seite. Dann sagte er, sich zu Helene wendend, leise:
    »Es sind Leberkoliken. Sie wird in ein paar Tagen auf sein.«
    Er riß ein Blatt aus seinem Notizbuch, auf das er ein paar
Zeilen kritzelte, und sagte zu der alten Frau:
    »Hier! Das tragen Sie zu dem Apotheker in der Rue de Passy und
nehmen dann alle zwei Stunden einen Löffel von der Arznei, die man
Ihnen dort geben wird.«
    Nun erging sich die Alte in neuen Segenswünschen. Helene blieb
sitzen. Der Doktor schien zu warten, als ihre Blicke sich trafen.
Doch dann stand er auf und ging. Er hatte noch nicht das erste
Stockwerk hinter sich, als die Alte schon wieder mit ihrem Lamento
anhob.
    »Ach! Ein tüchtiger Arzt! Wenn mir sein Mittel nur auch was
nützt! Na, Sie können sagen, daß Sie einen wackern Arzt kennen. Sie
kennen ihn sicher schon lange? Ach Gott! Was hab ich für Durst! Ich
habe Feuer im Blut … Er ist verheiratet, nicht wahr? Er
verdient's, ein gutes Weib zu haben und schöne Kinder … Oh! Es
macht doch viel Freude zu sehen, daß die Herrschaften einander
bekannt sind.«
    Helene war aufgestanden, um ihr zu trinken zu geben.
    »Nun, auf Wiedersehen, Frau Fetu. Auf morgen!«
    »Recht so! Wie gut Sie doch sind! Wenn ich
nur ein bißchen Leinwand hätte! Sehen Sie, mein Hemd ist zerrissen.
Ich liege auf einem Dreckhaufen – das macht nichts – der gute Gott
wird Ihnen alles lohnen!«
    Als Helene am andern Morgen kam, war der Doktor Deberle schon
bei der alten Fetu. Auf dem Stuhle sitzend, schrieb er ein Rezept,
während die Alte weitschweifig daherplärrte.
    »Jetzt, Herr Doktor, ist's wie Blei. Ganz gewiß, ich hab Blei in
der Seite. Das wiegt an die hundert Pfund – ich kann mich nicht
drehen, nicht wenden.«
    Als sie Helene bemerkte, ging das Schwatzen erst recht los.
    »Ach! Da ist ja die liebe gute Dame! Ich sagte es doch dem
wackern Herrn: sie wird kommen, und wenn der Himmel niederfiele,
sie käme … Eine echte Heilige, ein Engel aus dem Paradies, und
schön, so schön, daß man in den Straßen knien möchte, um sie
vorbeigehen zu sehen … Meine liebe Dame, es geht nicht besser.
Jetzt hab ich ein Stück Blei da – da, da drückt's … Ja, ich
hab ihm alles erzählt, was Sie für mich getan haben. Der Kaiser
würde nicht mehr tun. Ach! Man müßte gar böse sein, Sie nicht zu
lieben, ganz und gar schlecht und böse … «
    Während die Fetu schwatzte, mit dem Kopf auf dem Kissen hin und
her rutschend, die Augen halb geschlossen, lächelte der Doktor
Helene zu, die vor Verlegenheit nicht aus noch ein wußte.
    »Mutter Fetu,« flüsterte sie, »ich hab Ihnen ein bißchen Wäsche
gebracht … «
    »Danke, danke! Gott wird's Ihnen lohnen. Ach! Sie und der brave
Herr da! Sie wissen nicht, daß er mich schon vier Monate lang behandelt. Arznei, Fleischbrühe und
Wein hat er mir gekauft. Man findet nicht viele reiche Leute, die
so denken. Noch ein Engel des lieben Gottes mehr … Oh! da, da
– 's ist, als ob ich ein ganzes Haus im Leibe hätt' … «
    Jetzt schien auch der Doktor verlegen. Er erhob sich und wollte
Helene den Stuhl abtreten, auf dem er saß. Diese aber lehnte ab,
obgleich sie in der Absicht, ein Viertelstündchen zu bleiben,
gekommen war.
    »Danke sehr, Herr Doktor, ich habe gar keine Zeit. Auf
Wiedersehen, Mutter Fetu. Ich glaube nicht, daß ich morgen
vorbeikommen kann … «
    Dennoch ging sie am andern Tage wieder hinauf. Die alte Frau
schlief. Als sie aufwachte
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