Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
solche
Schwäche. Er ist also gegangen, der liebe gute Herr? Freilich, hier
gibt's keine Bequemlichkeit. Sie sind alle beide Engel vom Himmel,
daß Sie Ihre Zeit einem unglücklichen Weibe widmen. Aber der liebe
Gott wird's Ihnen vergelten! Es ist mir heut in die Beine gefahren.
Ich hab mich auf eine Stufe setzen müssen. Und ich wußte auch gar
nicht, woran ich war … weil Sie so gar still waren … Ach,
wenn ich doch nur Stühle hätte! Wenigstens einen Lehnsessel! Meine
Matratze ist sehr schlecht. Ich schäme mich, wenn Sie kommen …
Ach! Wenn es doch der liebe Gott fügte, daß der liebe Herr und die
liebe gute Dame alle ihre Wünsche befriedigen könnten.«
    Helene hörte ihr zu, aber sie empfand eine sonderbare
Beklemmung. Das fette Gesicht der Mutter Fetu beunruhigte sie. Nie
vorher hatte sie eine solche Übelkeit in diesem engen Räume
empfunden. Sie sah erst jetzt die schmutzige Armut und litt unter
dem Mangel an Luft. Rasch eilte sie hinaus, von den Segenswünschen
peinlich berührt, mit denen die Alte sie verfolgte.
    Es war gerade am Dienstag. Abends um sieben Uhr, als Helene
soeben eine kleine Stickerei vollendet, ertönten die gewohnten
Glockenschläge, und Rosalie öffnete:
    »Ah! Heute kommt der Herr Abbé zuerst – nun! da ist ja auch der
Herr Rambaud.«
    Das Essen war sehr heiter. Die kleine Jeanne war noch munterer
als am letzten Abend. Die beiden Brüder, die sieverhätschelten, erreichten, daß das Kind trotz des
ausdrücklichen Verbots des Doktors Bodin ein wenig Salat essen
durfte. Als man dann ins Zimmer hinüber ging, hängte sich das Kind
an den Hals der Mutter und flüsterte:
    »Ach, Mütterchen! Ich bitte dich, nimm mich doch morgen mit zu
der alten Frau.«
    Aber der Priester und Herr Rambaud waren die ersten, die
schalten. Zu unglücklichen Menschen könnte man sie nicht führen, da
sie sich dort nicht zu benehmen wüßte. Das letztemal hätte sie zwei
Ohnmachten gehabt. Drei Tage lang seien ihr, selbst im Schlaf, die
Tränen nicht aus den Augen gekommen.
    »Nein, nein! ich werde nicht weinen – ich verspreche es euch!«
rief das Kind.
    Da gab ihr die Mutter einen Kuß und sagte:
    »Es ist unnütz, daß wir weiter darüber reden, mein Süßes! Die
alte Frau ist wieder gesund. Ich werde nicht mehr ausgehen, werde
den ganzen Tag bei dir bleiben.«

Kapitel 4
     
    Als in der folgenden Woche die Doktorsgattin Frau Grandjeans
Besuch erwiderte, zeigte sie sich von außerordentlicher
Liebenswürdigkeit. Noch auf der Schwelle sagte sie zu Helene:
    »Sie wissen, was Sie mir versprochen haben. Am ersten schönen
Tage kommen Sie in den Garten hinunter und bringen Jeanne mit. Es
ist Verordnung des Arztes!«
    Helene lächelte.
    »Natürlich, natürlich, die Sache ist abgemacht. Rechnen Sie auf
mich!«
    Drei Tage später ging sie an einem freundlichen
Februarnachmittage wirklich mit ihrem Kinde hinunter. Der Pförtner
öffnete die Verbindungstüre. Im Hintergrunde des Gartens, in einer
Art von japanischem Pavillon, fanden sie Frau Deberle in
Gesellschaft ihrer Schwester Pauline. Beide saßen mit ihren
Stickarbeiten an einem kleinen Tische.
    »Wie nett, daß Sie kommen!« rief Juliette. »Da, setzen Sie sich!
Pauline, rücke den Tisch weg. Sie sehen, es ist noch ein bißchen
frisch, wenn man sitzt. Von diesem Pavillon aus werden wir die
Kinder besser überwachen. Da, Kinderchen, spielt. Daß ihr mir nur
nicht fallt!«
    Es war ein bürgerlich einfacher Garten mit einem Rasenplatz in
der Mitte und zwei Blumenbeeten. Ein Gitter sperrte ihn nach der
Rue Vineuse zu ab; doch darüber war ein so dichter Laubvorhang
gewachsen, daß kein Blick von der Straße
eindringen konnte. Den Hauptreiz bildeten im Hintergrunde mehrere
hoch gewachsene Bäume, prächtige Rüstern, welche die schwarze Mauer
eines fünfstöckigen Wohnhauses verdeckten. Sie schufen in diesem
engen Winkel aneinanderstoßender Häuser die Illusion eines Parkes
und schienen dieses Pariser Gärtchen, das man wie einen Salon
kehrte, ungewöhnlich zu vergrößern. Zwischen zwei Rüstern hing eine
Schaukel, deren Brett einen grünlichen Schimmel zeigte.
    Helene beugte sich vor, um alles besser zu sehen.
    »Oh! 's ist ein rechtes Loch,« warf Frau Deberle hin, »aber in
Paris sind die Bäume selten … man schätzt sich schon
glücklich, wenn man ein halb Dutzend sein eigen nennt.«
    »O nein, o nein! Sie wohnen hier herrlich,« flüsterte
Helene.
    »Jetzt ist's noch ein bißchen öde,« erwiderte Frau Deberle.
»Aber im Juni sitzt man hier wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher