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Ein Blatt Liebe

Ein Blatt Liebe

Titel: Ein Blatt Liebe
Autoren: Emile Zola
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Sonnabend. Jeanne hatte sich
völlig erholt. Doktor Bodin, der sehr beunruhigt gewesen war, hatte
vom Doktor Deberle mit der Achtung eines armen, alten
Stadtbezirksarztes für einen jungen, reichen und schon berühmten
Kollegen gesprochen. Er erzählte indessen auch, daß das Vermögen
schließlich vom Papa Deberle stamme, einem Manne, den ganz Passy in
hohen Ehren halte. Der Sohn hätte eben bloß die Mühe gehabt,
anderthalb Millionen und eine prächtige Praxis zu erben. Übrigens,
setzte er rasch hinzu, ein gar stattlicher Herr. Er würde sich
schmeicheln, mit diesem Kollegen über die
teure Gesundheit seiner kleinen Freundin Jeanne zu beraten.
    Gegen drei Uhr stieg Helene mit ihrem Töchterchen die Treppe
hinunter; sie brauchten nur wenige Schritte in der Rue Vineuse zu
tun, um vor der Tür des benachbarten Wohnhauses zu läuten. Beide
gingen noch in tiefer Trauer. Ein Kammerdiener in Frack und weißer
Binde öffnete. Helene kannte den großen, mit orientalischen
Portieren behangenen Treppenflur sogleich wieder. Eine Flut von
Blumen zur Rechten und Linken der Treppe erregte ihre besondere
Aufmerksamkeit. Der Diener hatte sie in einen kleinen Saal mit
Resedavorhängen und gleichfarbigen Polstermöbeln geführt. Er blieb
stehen und wartete. Helene nannte ihren Namen:
    »Frau Grandjean.«
    Der Diener stieß die Tür zu einem schwarzgelben Salon mit
Grandezza auf und wiederholte, sich verneigend:
    »Frau Grandjean!«
    Helene war's auf der Schwelle, als müsse sie sich zurückziehen.
Sie hatte im Winkel des Kamins eine junge, auf schmalem Sofa
sitzende Dame bemerkt, die mit ihren Kleidern dessen ganze Breite
verdeckte. Ihr gegenüber saß eine ältliche Person, die weder Hut
noch Schal abgelegt hatte. Es handelte sich also um einen
Besuch.
    »Verzeihung,« sagte Helene leise. »Ich wollte Herrn Doktor
Deberle sprechen.«
    Damit faßte sie Jeanne, die sie vor sich hatte eintreten lassen,
wieder bei der Hand. Es störte und verwirrte sie, so plötzlich auf
diese junge Dame zu stoßen. Warum hatte sie nicht nach dem Arzt
gefragt?
    Frau Deberle beendete soeben mit rascher, etwas scharfer Stimme
eine Erzählung:
    »Oh! es ist wunderbar, wunderbar! Sie stirbt
mit einem Realismus! Da sehen Sie! So durchbohrt sie sich das
Korsett, wirft den Kopf zurück und wird ganz grün… Ich versichere
Sie! Man muß sie sehen, Fräulein Aurélie… «
    Hierauf erhob sie sich, kam mit gewaltigem Rauschen ihrer
Kleider an die Tür und sagte mit gewinnendem Liebreiz:
    »Treten Sie doch ein, bitte… Mein Mann ist nicht da. Aber,
glauben Sie mir, ich werde mich sehr, sehr glücklich
schätzen … Das muß wohl das kleine Fräulein sein, welches vor
kurzem so viel gelitten hat. Bitte, nehmen Sie doch Platz!«
    Helene mußte einen Stuhl annehmen, während Jeanne sich
schüchtern auf den Rand eines Sessels setzte. Frau Deberle hatte
sich wieder auf ihrem kleinen Sofa niedergelassen und plauderte mit
niedlichem Lachen weiter:
    »Heute ist grade mein Visitentag. Ja, ich empfange samstags. Da
führt Pierre alles in den Salon. In der vergangenen Woche hatte er
mir einen alten Oberst zugeführt, der das Zipperlein hatte.«
    »Sie sind von Sinnen, Juliette!« flüsterte Fräulein Aurélie, die
ältere Dame. Sie war eine verarmte alte Freundin, die schon an Frau
Deberles Wiege gestanden hatte.
    Es trat eine Pause ein. Helene warf einen Blick auf den Reichtum
des Salons mit den schwarz und goldenen Vorhängen und Polstern, die
Sternenglanz verbreiteten. Blumen standen in Fülle auf dem Kamin,
dem Klavier, auf den Tischen; und durch die Fensterscheiben drang
das helle Licht des Gartens, dessen entlaubte Bäume und kahlen
Rasen man sah. Es war sehr warm, Dampfheizungstemperatur. Im Kamin
lag ein einziges Scheit und verkohlte. Mit einem zweiten Blick
wußte Helene, daß das Flimmern des Salons
ein glücklich gewählter Rahmen sei, Frau Deberle hafte
tiefschwarzes Haar und eine milchweiße Haut. Sie war klein, füllig,
langsam und graziös. In all diesem Gold leuchtete unter der
dichten, dunklen Frisur ihr blasser Teint im Widerschein des im
Feuer vergoldeten Silbers. Helene fand sie bewundernswürdig.
    »Krämpfe sind doch gar zu schrecklich,« hatte Frau Deberle die
Unterhaltung wieder aufgenommen. »Mein kleiner Lucien hat sie auch
gehabt, aber in sehr frühem Alter. Ach! was haben Sie für Angst
ausstehen müssen, Sie Arme! Gott sei Dank, jetzt scheint ja das
liebe Kind wieder munter zu sein.«
    Und also weiterschwatzend, musterte nun die Frau des
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