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Ein bisschen schwanger

Ein bisschen schwanger

Titel: Ein bisschen schwanger
Autoren: K Dunker
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Ich durfte mich jetzt nicht darauf einlassen!
    In meinem Kopf war nur ein Gedanke: Martins Plan war, dass ich mich auf dem Klo einschloss, während Patrick allein im Besucherraum blieb. Los! Ich sprang ganz plötzlich auf. Patricks Hand packte meine, aber es gelang mir dennoch, mich loszureißen. Ich hastete los. Sechs Meter bis zur Toilettentür. Patrick hinter mir her. Brüllend. Weiter Linda, der Türgriff!
    Ich zog die Tür auf. Noch ein Schritt und …
    In diesem Moment sprang im Käfig links neben mir ein Tiger gegen die Panzerglasscheibe. Seine Pranken fuhren direkt vor meinem Gesicht entlang, sein aufgerissenes Maul schien mich zu verschlingen. Ich stieß einen Entsetzensschrei aus, als Patricks Arme mich im selben Moment zu Boden warfen. Dann schlug ich auf den Fliesen auf und alles war plötzlich schwarz.
    »Linda, hörst du mich? Wach auf! « Patrick lag halb auf mir, seine Fingernägel gruben sich in meine Arme, sein Atem ging schnell, er zitterte. »Es muss einen Stromausfall gegeben haben, ich habe alles ausprobiert, die Tür geht nicht auf, das Licht ist aus, wir sind eingeschlossen.«
    Ich rührte mich nicht. Im Besucherbereich des Raubtierhauses war es fast völlig finster. Durch die getönten Scheiben der beiden Türen fiel nur noch wenig Abendlicht. Jetzt im November wurde es immer schon früh dunkel. Jetzt kam bestimmt kein Besucher mehr, um meine Ausstellung zu sehen. Und Martin, der Mann mit den tausend Schlüsseln und der Macht über die Schalthebel, wusste nicht, dass er nicht nur Patrick, sondern auch mich im Besucherbereich eingesperrt hatte.
    »Linda, die Tiere … « Patrick rückte noch näher, flüsterte: »Was die für Geräusche machen!«
    Ich lag weiterhin starr, horchte aber auf das Tapsen, Auf-undab-Laufen, Zähnefletschen, Knurren – in der Dunkelheit klang es noch lauter. Es klang näher.
    »Die können doch nicht hier rein, oder?« Patrick richtete sich auf, um die Lage abzuschätzen, kam dann wieder zu mir herunter, den Mund dicht an meiner Wange. »Was meinst du? Sag was, bitte, du kennst dich doch hier aus! «
    Ein Gitter quietschte. Im gleichen Moment stieß einer der Tiger ein Grollen aus, das mir durch Mark und Bein ging. Was trieb Martin da? Er würde doch keine Dummheiten machen? Er würde doch nicht versehentlich das falsche Gitter …?
    »Linda?« Patricks Stimme war ein Flehen. Er rüttelte wieder an mir. Ich schlug die Augen auf, sah ihn direkt an. Er war nur wenige Zentimeter von mir entfernt. In seinen Augen sah ich die Angst, die er auch an jenem Abend gehabt hatte, als er beinahe in die Emscher gefallen wäre. Jetzt war sie um ein Vielfaches größer. Wieder quietschte ein Gitter. Man hörte die tapsenden Schritte der Tiger auf den Fliesen.
    »Mein Vater sagt immer«, flüsterte ich, »theoretisch kann so ein Tiger gar nicht ausbrechen, und falls der Fall der Fälle doch einmal eintritt und die Sicherheitssysteme wegen Stromausfalls versagen, dann … «
    »Dann?«, fragte Patrick panisch.
    »… kannst du nur noch beten.«
    Patrick starrte mich an. Er war ein Fremder, er hatte keinen Anspruch mehr auf mich. Plötzlich hatte ich keinerlei Angst mehr. Selbst wenn uns der Tiger gleich zerfleischen würde, ich lag hier und war ich selbst, ich war eine Frau, die sich nie wieder etwas von ihm sagen, sich nie wieder von ihm einschüchtern, sich nie wieder von ihm beherrschen lassen würde. Ich fürchtete mich nicht vor ihm und auch nicht vor den Raubkatzen um uns herum.
    »Du wolltest doch so gern eine Gruselrallye erleben. Bitte, jetzt hast du sie.«
    »Linda, du kapierst wohl gar nicht, in welcher Lage wir gerade sind! Was ist, wenn die Gitter hochgehen!« Er deutete in Richtung der Käfige, klammerte sich aber sofort wieder an mich, als könnte ihn meine Anwesenheit schützen.
    »In dieser Lage war ich die ganze Zeit mit dir.«
    »Das ist nicht wahr!« Heiße Tränen fielen auf mein Gesicht.
    »Doch, Patrick. Du hast mir keine Luft zum Atmen gelassen, du hast mich so … verschreckt. Ich konnte gar nicht anders, als dieses Kind von dir abzulehnen.«
    »Aber es ist doch auch deins! Liebst du es denn gar nicht?« Ich schwieg.
    »Und mich? Hast du mich denn gar nicht geliebt?«
    »Ich weiß es nicht. Gemocht habe ich dich, am Anfang sogar sehr, und ein bisschen mag ich dich immer noch. Aber je mehr du mich bedrängst, desto weniger wird es.«
    In diesem Moment spürten wir beide den Luftzug. Der war vorher nicht da gewesen. Der konnte nur aus einem der Käfige kommen.
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