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Ein bisschen schwanger

Ein bisschen schwanger

Titel: Ein bisschen schwanger
Autoren: K Dunker
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dichten Augenbrauen, seine Grübchen in den Wangen, sein voller Mund – alles, alles war gut, seine Körperwärme, seine Hände auf meinem Rücken, und doch …
    Ich drehte mich auf die Seite, rollte mich zusammen, verbarg den Kopf in den Händen.
    »Linda?«
    »Morgen schon.«
    »Hast du Angst?«
    Ich gab keine Antwort.
    »Hey!« Er deckte mich zu. »Dann hast du’s hinter dir. Je länger du wartest, umso schwieriger wird es. Du willst es doch. Linda?«
    »Ja, ich will es.«
    »Na dann.« Er legte den Arm um mich.
    »Kann ich heute Nacht bei dir schlafen?«
    »Wenn deine Eltern es erlauben.«
    »Das müssen sie. Ich lasse ihnen keine Wahl, sage ihnen einfach, dass ich hier bleiben will. Sie können mich morgen früh abholen und zur Praxis fahren. Frühstücken darf ich eh nicht.«
    Martin lachte, drückte sich an mich. »So kenne ich dich, so mag ich dich. Weißt du, dass du das tollste Mädchen bist, dass ich je getroffen habe?«
    »Nein«, antwortete ich leise, war mir aber sicher, dass er es nicht mehr hörte, seine Atemzüge wurden gleichmäßiger, sein linker Arm zuckte noch einmal, dann war er eingeschlafen.
    Ich blieb wach.
    »Wir«, hatte ich zu dem Türken im Bus gesagt. Keine Ahnung, welcher Teufel mich da geritten hatte! Wahrscheinlich das kleine Etwas in meinem Bauch. Ich horchte. Es gab kein Lebenszeichen von sich. Vielleicht war es schon tot. Gestorben, weil es wusste, dass es morgen sowieso sterben musste. Schlau, das Kleine. Wie es wohl aussah? Hellrote Haut, die Augen schwarze Punkte, wie auf der Abbildung im Bio-Buch? Hatte es jetzt schon einen Finger, den es sich in den Mund stecken konnte? Nein, hatte es nicht! Es würde auch keine Finger brauchen! Keine Finger, um wie sein Vater stundenlang auf PC-Tastaturen einzuhämmern! Keine Finger, um wie seine Mutter Bilder zu malen, keine Finger, um Schokoladenkekse zu naschen, keine Finger, um den Geliebten zu liebkosen, keine Finger, um im dämmrigen Licht seines Schlafzimmers Schattenspiele an die Wand zu zaubern.
    Es brauchte gar nichts.
    War es wohl ein Mädchen oder ein Junge? War es wohl wach? Las es etwa meine Gedanken? Hatte es Angst?
    Quatsch! Ich stand auf und rief meine Eltern an.
    »Es bleibt sonst alles beim Alten«, sagte ich, »morgen um Viertel vor sieben stehe ich fertig und abfahrbereit vor Martins Haus.«

Halbe Treppe
    20. Oktober
    Die gynäkologische Praxis lag im dritten Stock des Ärztehauses. Meine Mutter nahm den Aufzug. Ich behauptete, in Aufzügen neuerdings Klaustrophobie zu bekommen, und zog die Treppe vor.
    Ich ließ mir Zeit. Im ersten Stock blieb ich eine Weile am Flurfenster stehen, sah auf die Straße hinunter und beobachtete eine Gruppe von Kindern auf dem Weg zur Grundschule. Sie kauften am Kiosk ein, drängelten an der Ampel, neckten und schubsten sich, balgten und rauften und hielten sich gegenseitig an den Tornistern fest. Einer von ihnen hatte große Ähnlichkeit mit Tim und Till, ein Mädchen besaß eine Mütze, wie Sonja damals auch eine gehabt hatte. War das lange her!
    Ich riss mich los, zwang mich die Stufen hinauf in den zweiten Stock und stellte mich dort erneut ans Fenster. Die Kinder waren verschwunden. Auf der Kreuzung stand ein grünes Auto quer und behinderte den Verkehr. Ein Hupkonzert tönte herauf. Vielleicht ist das Patrick, dachte ich idiotischerweise, Patrick hat von meinem Vorhaben erfahren und ist nun in halsbrecherischer Fahrt hergerast, um mich zurückzuhalten. Doch als der Fahrer des grünen Autos ausstieg, sah ich, dass es ein alter, hilfloser Mann war, kein junger, liebestoller Anti-Held. Ich drehte mich um, lehnte mich mit dem Rücken gegen das Flurfenster.
    Aus der Zahnarztpraxis, die auf dieser Ebene untergebracht war, kam eine junge Sprechstundenhilfe, grüßte mich freundlich und sprang die Treppen hinunter. Ich blieb stehen, schloss die Augen. Wie Schnappschüsse kamen mir Bilder von Patrick in den Sinn: Patrick konzentriert vor seinem Computer, seinen Superstaubsauger entwickelnd, Patrick, der beinahe in die Emscher fällt, als er die Fotos von mir zerreißt, Patrick, der »Verlass mich nicht!« rufend vor mir auf die Knie fällt.
    »Zahnschmerzen? Willst du zu uns?« Die Sprechstundenhilfe war wieder heraufgekommen.
    »Nein, nein«, sagte ich hastig.
    Sie grinste, schien wohl zu glauben, ich traute mich nicht zum Zahnarzt herein. Wie viel einfacher wäre es jetzt, sich einen Zahn ziehen zu lassen!
    »Ich muss nach oben.« Ich zeigte die Treppe hinauf, machte aber keine Anstalten,
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