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Ein bisschen schwanger

Ein bisschen schwanger

Titel: Ein bisschen schwanger
Autoren: K Dunker
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den ersten Frost sowieso nicht überleben. Ich habe keine Lust, mir mit den Blumenkästen mein Zimmer voll zu stellen, nur damit sie einen Platz zum Überwintern haben. Noch einmal spucke ich, jetzt hinunter in den Garten.
    So elend wie heute fühlte ich mich auch an dem Tag, an dem alles angefangen hat.
    Ich will zurückgehen an diesen Anfang. Ich will eine Auszeit nehmen, wie es der Trainer beim Volleyballmatch manchmal tut. Er wendet sich an den Schiedsrichter und bittet ihn um ein paar Minuten Spiel-Unterbrechung, damit seine Mannschaft sich sammeln und untereinander besprechen kann. Der Trainer fragt die Spieler, was sie wollen. Sie wollen natürlich gewinnen. Will ich das auch? Ich habe keine Mannschaft. Und mein Spiel ist in Wirklichkeit keines.
    Aber die Auszeit, die nehme ich mir jetzt.

Stumm
    16. April letzten Jahres, 19 Uhr
    An diesem Tag verlor ich meine Stimme. Und nicht nur die.
    Meine Eltern und ich kehrten aus einem verregneten Osterurlaub in der Toskana zurück. Das Wetter in Italien war regnerisch und das Ferienhaus ungeheizt gewesen, so dass ich nach wenigen Tagen erkältet war und die restliche Zeit im Bett verbrachte, während meine Eltern herumfuhren und sich alte Kirchen ansahen.
    Es war meine letzte gemütliche Zeit. Lesen, Träumen, Dösen in einem historischen Gemäuer, das meine Eltern als stilechte Unterkunft ausgewählt hatten. Tagsüber hatte ich meine Ruhe, abends bekochten und umsorgten sie mich, fütterten mich mit Pasta und peppelten mich mit Rotwein auf. Ich war zwar schon groß, gleichzeitig aber noch Kind.
    Auf der Rückfahrt wurde ich heiser, bekam kein Wort mehr heraus und protestierte nicht einmal gegen die Halswickel, die meine Mutter mir anlegte. Ich trug sie noch, als wir am frühen Abend wieder in unsere heimatliche Straße einbogen.
    Hier war das Wetter schön, der erste warme Tag des Jahres. Meine Clique hatte sich wie so oft vor unserem Haus getroffen: Tim und Till (sie haben nicht nur ähnliche Namen, sie sehen auch wie Brüder aus) schossen abwechselnd einen Tennisball vor das Garagentor der Przybyllas (die offensichtlich in Urlaub waren, sonst hätten sie das nie erlaubt); Sonja saß rauchend und mit übereinander geschlagenen Beinen auf den Treppenstufen und tippte auf ihrem Handy herum; Melanie hatte sich ihrem fünf Jahre älteren Bruder Torsten um den Hals gehängt und redete mit einem Jungen in Torstens Alter, den ich nicht kannte. Sie waren fertig zum Aufbruch: Torsten, der gerade sein erstes Auto geschenkt bekommen hatte, spielte auffordernd mit dem Zündschlüssel herum, Sonja hatte ihre braune Haarmähne hochgesteckt und dick Make-up aufgelegt, und Melanie nutzte das warme Wetter, um endlich stolz das keltische OrnamentalTattoo auf ihrem Rücken zur Schau zu stellen. Die Einzigen, die wie immer nicht mit der Mode gingen, waren Tim und Till, die in ihren ausgewaschenen Jeans und einfach bedruckten Werbe- T-Shirts des Handballvereins auch in diesem Jahr noch wie zu lang und zu schlaksig geratene Kinder wirkten, und natürlich ich.
    »Hey Linda, du kommst genau rechtzeitig zum Abschluss der Osterkirmes!«, rief Melanie, als wir ausstiegen, um im gleichen Moment kreischend hinzuzufügen: »Wie siehst du denn aus!«
    Ich griff an meinen Hals, um mir den gruseligen Wust aus Geschirrtüchern und Schals herunterzuziehen, aber es gelang mir nicht gleich, außerdem bekam ich kein Wort heraus, röchelte nur.
    Natürlich war das Gelächter groß, und während ich selbst krächzend und mit tränenden Augen versuchte mitzulachen, fing ich den Blick des fremden Jungen auf. Seine großen blauen Augen spiegelten mehr als Amüsiertheit, Erstaunen und normale Neugierde, sie verrieten mir vom ersten Moment an, dass er Interesse an mir hatte, und der Urlaub, die Zeit mit den Eltern, das Vor-sich-hin-Dösen und Tagträumen der letzten vierzehn Tage, schien mir plötzlich weit weg und definitiv zu Ende.
    »Ich habe die Stimme verloren«, flüsterte ich mühsam, »und ihr wisst ja, meine Mutter steht auf alte Hausmittel: feuchte Trockentücher.«
    »Feuchte Trockentücher?«, wiederholte der Junge und trat näher. »Hört sich irgendwie schräg an. Gibt’s das überhaupt? Aber egal, das Teil steht dir, siehst süß aus.«
    Er berührte mit zwei Fingern meinen Halswickel und ich lächelte ein mattes Grippelächeln, ein letzter heißer Fieberschwall schoss mir ins Gesicht, oder war es Verlegenheit?
    »Ich bin Patrick. Schade, du kannst bestimmt nicht mit zur Kirmes kommen, oder
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