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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen
Autoren: Jan Seghers
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Mahlzeit, für das kleine Glück, im Fluss zu baden, und vielleicht noch dafür, und darin war sie ganz Schülerin der
     guten Madame Fouchard, mal mit diesem, mal mit jenem Jungen im Bett oder auf einer Wiese zu liegen, ohne daraus den Anspruch
     oder nur den Wunsch auf eine Wiederholung abzuleiten.
    So vergingen die Zeit und das Jahr.
     
    Eines Abends in den ersten Augusttagen des Jahres 2000 klagte Madame Fouchard, die in den letzten Jahren nie krank gewesen
     war und außer zur Absolvierung der regelmäßigen Kontrollen nie einen Arzt benötigt hatte, über heftiges Kopfweh. Wenig später
     breitete sich der Schmerz über den gesamten Oberkörper aus und hatte bald darauf auch den Magen befallen. Als Manon ihr anbot,
     Hilfe zu rufen, lehnte die Witwe ab und meinte, es handele sich nur um eine vorübergehende Übelkeit, womöglich hervorgerufen
     durch den am Mittag verzehrten Fisch, der wohl nicht mehr ganz frisch gewesen sei. Sie werde sich ein wenig hinlegen, die
     Ruhe werde ihr gut tun, denn der Schlaf, das habe schon ihre Mutter gesagt, sei noch allemal die beste Medizin. Nachdem Manon
     ihr beim Auskleiden geholfen |32| hatte, bat sie das Mädchen, ihr aus dem Vorratsschrank eine Flasche Marc de Gewürztraminer zu holen, einen in der gesamten
     Gegend beliebten Tresterschnaps, davon wolle sie ein oder zwei Gläschen trinken, und, man werde sehen, schon am Morgen sei
     alles wieder in Ordnung.
    Manon erwachte früh am nächsten Tag, schlief aber, da sie keines der vertrauten morgendlichen Geräusche hörte, noch einmal
     ein und wunderte sich erst, als sie geraume Zeit später, die Sonne stand bereits hoch am Himmel, vom Lärm der unruhig werdenden
     Tiere geweckt wurde. Barfuß stieg sie die Treppe hinab, lauschte an der Tür zu Madame Fouchards Kammer, klopfte an, rief,
     klopfte noch einmal und betrat dann, ohne eine Antwort bekommen zu haben, das Zimmer. Die Witwe lag noch genau so in ihrem
     Bett, wie sie sich am Abend zuvor hineingelegt hatte. Die Nachttischlampe war noch immer eingeschaltet, aber der schwache
     Schein verlor sich im Licht der Sonne, das durch einen Spalt zwischen den Vorhängen auf das reglose Gesicht von Madame Fouchard
     fiel.
    Das Glas und die Flasche mit dem Tresterschnaps standen unberührt auf dem Nachtschrank. Manon setzte sich auf die Bettkante,
     und als sie noch einmal den Namen der Witwe sagte, erwartete sie bereits keine Antwort mehr. Madame Fouchard war gestorben.
    Den ganzen Tag und die ganze folgende Nacht blieb Manon neben der Toten sitzen. Weder kümmerte sie sich um den lauter werdenden
     Lärm der hungrigen Tiere, noch schien sie selbst Hunger oder Durst zu verspüren. Gegen Mittag des zweiten Tages machte sie
     sich zu Fuß auf den Weg ins Dorf. Eben schlossen der Lebensmittelhändler und der Bäcker ihre Läden, um sich zur Mittagsruhe
     zu begeben, der Schulbus überholte das Mädchen, hielt ein paar Meter weiter am Kriegerdenkmal, entließ eine Horde fröhlicher
     Kinder und verschwand |33| hinter einer Kurve, um ins nächste Dorf zu fahren. Dann war es still. Manon setzte sich an den Brunnen unter die Platane,
     beobachtete das gegenüberliegende Gebäude und wartete.
    Endlich öffnete sich die Tür des kleinen Rathauses, der Bürgermeister trat heraus, und während er ausgiebig gähnte, kramte
     er in seiner Hosentasche nach dem Hausschlüssel. Manon trat hinter ihn und sagte: «Madame ist tot.» Monsieur Durell, der erst
     im letzten Jahr einen schweren Herzinfarkt gehabt hatte, fuhr herum, sah Manon mit schreckgeweiteten Augen an und sagte, als
     er sich halbwegs wieder gefangen hatte: «Mensch, Mädchen, das ist doch kein Grund, mich umzubringen.»
    Ohne ein Wort zu wechseln, fuhren die beiden in Monsieur Durells dunkelblauem Peugeot zum Hof der Witwe. Der Bürgermeister
     warf einen kurzen Blick in das Schlafzimmer, ging dann zum Telefon und rief in der Praxis von Dr.   Destouches an, um den Arzt zu bitten, den leblosen Körper Madame Fouchards zu untersuchen und den Totenschein auszustellen.
     Ja, es sei dringend, der Leichnam zeige bereits erste Anzeichen von Verwesung. Nein, er werde nicht zurück ins Dorf fahren,
     sondern hier auf die Ankunft des Doktors warten. Monsieur Durell setzte sich an den Küchentisch und bat Manon, ihm etwas Wein
     zu bringen. Er lehnte sich zurück, fuhr sich mit beiden Händen durch das schütter werdende Haar und gähnte erneut. Seine Augen
     waren feucht.
    «Was willst du jetzt machen?», fragte er.
    Manon antwortete
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