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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen
Autoren: Jan Seghers
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Abend wieder zu verschwinden und erst gegen Mitternacht polternd und fluchend zurückzukehren.

|29| Vier
    Manon war anders als die Mädchen, die Jean-Luc bislang still für sich verehrt hatte, und ganz anders auch als jene, die sich
     ihm an den Hals geworfen hatten. Weder wies sie ihn ab, noch ermunterte sie ihn. Wenn er ihr sagte, wie schön sie sei, blieb
     sie ungerührt. Wenn er ihr ein Geschenk mitbrachte, sagte sie danke und legte es zur Seite. Kein Ring, keine Halskette, so
     kostbar sie auch sein mochten, waren in der Lage, ihr mehr als dieses höfliche, aber trockene Dankeschön zu entlocken.
    Was auch immer er tat oder sagte, nichts schien zu helfen, nichts sie zu beeindrucken. Wenn er sie fragte, ob sie ihn liebe,
     schien sie nicht zu verstehen. Sie freute sich nur über Dinge, die sie nicht kannte. Über einen seltsam geformten Stein oder
     über irgendeinen billigen Scherzartikel, den Jean-Luc für sie in der Stadt gekauft hatte. Als er an einem windigen Tag im
     Frühherbst einen selbst gebauten Drachen mitbrachte, den sie auf den Wiesen unterhalb des Waldes steigen ließen, stand sie
     mit zurückgelegtem Kopf und weit geöffneten Augen neben ihm und konnte nicht genug davon bekommen, dem Steigen und Fallen
     des bunten Kinderspielzeugs zuzuschauen. Ihre Augen leuchteten, und ihr Gesicht schien in der späten Nachmittagssonne zu glühen.
    Er schwankte, ob er sie für naiv oder für besonders gerissen halten sollte, er wusste nicht, ob sie besonders schutzbedürftig
     war oder ob man sich besser vor ihr hüten sollte. Jedenfalls war ihm ihr Verhalten so fremd, so unberechenbar, dass sein Interesse
     für sie immer neue Nahrung fand.
    Nur einmal, als sie ihn vom Dachfenster aus mit seinem |30| neuen Auto die Straße herunter- und auf Madame Fouchards Grundstück fahren sah, zeigte sie so etwas wie Begeisterung, ja,
     sie schien wirklich entzückt von diesem Wagen, der nun wie ein großes weißes Tier vor dem Haus unter den Bäumen hockte und
     dessen Lack glänzte wie das Fell einer Raubkatze. Sie sprang die Treppe hinab, lief, ohne Jean-Luc zu begrüßen, auf den Hof,
     umkreiste das Auto mit leuchtenden Augen und schaute dann ihren Verehrer an, als wolle sie diesen um Erlaubnis bitten, das
     fremde Tier berühren zu dürfen. Jean-Luc nickte, und Manon beugte sich über die Motorhaube, fuhr mit beiden Händen liebkosend
     über die glatte Fläche, breitete schließlich die Arme aus, legte sich mit dem ganzen Oberkörper über das Auto, als wolle sie
     es wie einen Geliebten umfangen, und schmiegte ihre Wange an das warme Metall. Jean-Luc und die Witwe sahen sich an, und beide
     lächelten – der junge Mann froh, seine Angebetete so glücklich zu sehen, Madame Fouchard ein wenig besorgt, als fürchte sie,
     das, was sich jetzt bei Manon als kindliche Freude äußerte, könne bald auch ganz andere Verwerfungen ihres Charakters zutage
     bringen.
    Allen, die den Winzerssohn kannten, fiel auf, wie sehr er sich in der folgenden Zeit veränderte. Aus dem schüchternen und
     immer ein wenig schwermütig wirkenden Jean-Luc war ein strahlender junger Mann geworden, der schon von weitem freundlich grüßte,
     mit dem man über die Nichtigkeiten des Alltags plaudern konnte und der für jeden ein freundliches Wort hatte. Er blühte auf,
     wie man so sagt, und auch seine Mutter, die zwar die Anhänglichkeit ihres Sohnes genossen, sich insgeheim aber über sein einzelgängerisches
     Wesen gesorgt hatte, war froh. Erst jetzt gestand sie sich ein, dass ihr die ungeteilte Liebe Jean-Lucs nicht nur eine Genugtuung,
     sondern auch eine Last gewesen war, und sie oft gefürchtet hatte, einen jener Söhne großgezogen zu haben, deren Treue nur
     ihrer |31| Mutter gilt und die nach dem Tod dieser Einziggeliebten nicht fähig sind, ein eigenständiges Leben zu führen.
    Wäre es nach Manon gegangen, hätte ihr Leben weiter so verlaufen können. Sie hatte kein Ziel, sie kannte keine Absichten.
     Weder gab es einen Mann, den sie begehrte, noch war sie auf Geld aus. Sie hatte nicht den Wunsch nach einem Haus, wo sie,
     wie die Frauen um sie herum, mit ihrer Familie wohnen würde, und schon gar nicht gab es einen fernen Traum, den sie zu verwirklichen
     trachtete. Sie wollte weder für ihre Schönheit berühmt werden, noch war sie bestrebt, eine ihrer Fähigkeiten so weit auszubilden,
     dass sie damit auf den Bühnen der Welt hätte Beifall ernten können, sie wollte nichts. Sie lebte für den Augenblick, für die
     nächste
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