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Dieses heiß ersehnte Glueck

Titel: Dieses heiß ersehnte Glueck
Autoren: Jude Deveraux
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Kapitel 1
    Virginia Riverfront September, 1803
    Der Regen hüllte die kleine Taverne wie ein Mantel ein und machte sie so düster, daß das goldene Licht der Laterne unheimliche Schatten warf. Die späte Herbstsonne, die am Vormittag noch behagliche Wärme gespendet hatte, war von grauen Wolken verdrängt worden. In der Gaststube hing ein Hauch von Frost. Hinter der hohen eichernen Theke stand eine hübsche, saubere, dralle Frau, das weiche braune Haar von einer weißen Haube aus Musselin gebändigt, und spülte tönerne Bierkrüge. Sie summte bei der Arbeit vor sich hin, lächelte hin und wieder, wobei ein Grübchen auf ihrer Wange erschien.
    Die Seitentür - Gäste kamen nur durch die Vordertür — öffnete sich, und ein Mädchen schlüpfte, begleitet von einem feuchtkalten Windstoß, in die Schänke. Es blieb einen Moment stehen, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, während die Frau hinter der Theke stirnrunzelnd hochsah und dann mit einem mißbilligenden Zungenschnalzen hervorkam.
    »Leah, du siehst von Mal zu Mal schlimmer aus, wenn du mich besuchst. Setz dich so lange hierher, bis ich dir einen Punsch heiß gemacht habe«, sagte die stramme Schankwirtin und schob das vor Kälte zitternde Mädchen zu einem Sessel. Während sie das Schüreisen vom Haken nahm und über das Feuer hielt, betrachtete sie verstohlen ihre jüngere Schwe-ster. Leah schien noch magerer geworden zu sein. Der Körper unter ihrem schmutzigen, geflickten Kleid schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Sie hatte blaue Ringe um die Augen, die tief in ihren Höhlen lagen, und auf der vom Sonnenbrand geröteten Nase schälte sich die Haut. Drei blutige Schrammen zogen sich über ihre linke Gesichtshälfte, während die andere Seite von einem bläulich-grün schillernden Bluterguß entstellt war.
    »Hat er dir das verpaßt?« fragte die Schankwirtin entrüstet, wobei sie den heißen Schürhaken in den mit Punsch gefüllten Krug tauchte.
    Leah zuckte nur mit den Achseln, während sie begierig die Hände nach dem heißen Gebräu aus Bier und Melasse ausstreckte.
    »Hat er dir gesagt, weshalb?«
    »Das übliche«, erwiderte Leah, nachdem sie den Krug zur Hälfte geleert hatte und sich im Sessel zurücklehnte.
    »Leah, warum gehst du nicht. . .«
    Leah öffnete die Augen und warf ihrer Schwester einen warnenden Blick zu. »Fang nicht wieder damit an, Bess. Ich kenne das Lied in- und auswendig und will es nicht mehr hören. Du tust, was du tun mußt, und ich sorge für mich und die Kinder.«
    Bess wirkte einen Moment wie versteinert, ehe sie sich abwandte und sagte: »Sich für ein paar saubere Gentlemen auf den Rücken zu legen ist viel leichter als das, was du tun mußt.«
    Leah hatte sich das schon so oft von ihrer Schwester anhören müssen, daß sie sich darüber nicht mehr aufregen konnte. Vor zwei Jahren hatte Bess es nicht mehr ausgehalten bei ihrem Vater, der sie ständig verprügelte, weil »Frauen in Sünde geboren« seien. Leahs ältere Schwester hatte das armselige, heruntergekommene Farmhaus verlassen, um sich woanders eine Arbeit zu suchen. Nebenbei war sie »freundlich« zu einigen Herren, und Leah bekam die Prügel für Bessens Sünden. Deshalb versuchte Bess immer wieder von neuem, sie zu überreden, sich von ihrem rabiaten Vater und dessen »Hundehütte« zu trennen. Doch Leah blieb bei ihrer Familie und versorgte ihre sechs jüngeren Geschwister. Sie pflügte, säte, erntete, kochte, reparierte das Haus und schützte vor allem die Kleinen vor dem Zorn ihres Vaters.
    »Schau dich doch an!« sagte Bess. »Du siehst aus wie fünfundvierzig! Und wie alt bist du wirklich? Zweiundzwanzig?«
    »Fast«, antwortete Leah müde. Es war das erste Mal, daß sie an diesem Tag sitzen konnte, und der Punsch tat ihr gut. »Hast du ein paar Kleider für mich?« flüsterte sie schlaftrunken.
    Eigentlich wollte Bess ihr ins Gewissen reden, ging dann aber hinter den Tresen und legte Schinken, Brot und Senf auf einen Teller. Sie stellte ihn neben Leah auf den Tisch und setzte sich ihr gegenüber. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, daß Leah zögerte, zuzulangen.
    »Wenn du glaubst, ich hätte dir das Essen vorgesetzt, damit du es für die Kinder zu Hause einpacken sollst, stopfe ich es dir eigenhändig in den Rachen!«
    Da huschte ein Lächeln über Leahs Gesicht, während sie über das Essen herfiel. Mit vollem Mund und niedergeschlagenen Augen fragte sie, als wäre ihr nicht sonderlich an einer Antwort gelegen: »Ist er inzwischen
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