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Eifel-Müll

Eifel-Müll

Titel: Eifel-Müll
Autoren: Jacques Berndorf
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Kirmes, dass ihr so kaputt seid?«
    Der Hagere schüttelte den Kopf. »Das ist die zweite Schicht ohne Pause, wir sitzen seit gestern Nachmittag in der Karre. Keine Minute Schlaf.«
    »Wie kann denn das?«
    Der mit dem Schnäuzer erklärte: »Das Übliche. Personalmangel.« Sein Gesicht war verschlossen.
    »Nun sag es schon«, schlug der Hagere vor. »Er erfährt es doch sowieso.« Er räusperte sich. »Es ist so, dass Nati die zweite Leiche in unserer Schicht ist.«
    »Wie bitte?« Ich sah den Schnäuzer an. »Heißt das, dass noch jemand ermordet worden ist?«
    »Das wohl nicht«, war die Antwort. »Ein junger Mann hat sich totgefahren. Sven Hardbeck. Genauso alt wie Nati. Kennst du die schmale Straße von Darscheid nach Steiningen? Die führt unter der A 48 Koblenz-Trier her. Da ist Sven mit seinem Golf gegen die Brückenwand geknallt ... Er hat nicht gebremst, keinen Zentimeter gebremst. Dabei hat er schon mal Rallyes gefahren und eigentlich ... Vielleicht war er betrunken. Gerochen haben wir aber nichts.«
    »Ist das der Hardbeck von dem Hardbeck? Von diesem Müllunternehmer?«
    »Richtig«, nickte der Hagere müde. »Das ist das, was die Leute nicht wissen: Wir sind die, die zu den Eltern müssen, um ihnen zu sagen ... Svens Eltern sind durchgedreht, richtig durchgeknallt.« Er warf beide Arme nach vorne. »Sven war ihr einziger Sohn, muss man wissen, ihr ... Na ja, wir haben ihn immer den Kronprinzen genannt. Die Mutter rannte dauernd die Treppe rauf und runter, einfach so, rauf und runter. Und der Vater saß im Wohnzimmer in einem Ledersessel, sprang plötzlich wie von der Biene gestochen auf, nahm einen Aschenbecher und knallte ihn durch die Fensterscheibe in den Garten. Anschließend schrie er dauernd ›Nein!‹ und mischte das Wohnzimmer auf. Wir haben ihn nicht aufgehalten, wir wissen, wie das ist. Er hat nichts heil gelassen ... Als wir bei denen ankamen, war es drei Uhr nachts, als wir wegfuhren, war es sechs Uhr. Mein Gott, es war wirklich schlimm. Als wir den Bericht dann irgendwann geschrieben hatten und Schluss machen wollten, kam der Chef und sagte: ›Ihr müsst noch mal raus, es gibt eine Leiche.‹ Deshalb sind wir so im Arsch.«
    »Und Sven Hardbeck hatte gerade einen Job gekriegt, einen wirklich guten Job. Er wollte nach dem Abi was Nützliches machen.« Der Schnauzbärtige wischte sich mit einem Papiertaschentuch durch das Gesicht. »In Südamerika gibt es doch so Hilfsprojekte, landwirtschaftliche und soziale. Und Sven hat dort über das katholische Bistum Trier eine Zivildienststelle gekriegt. In zwei Monaten sollte er antreten, in Peru, glaube ich. – Scheiße, dieser Beruf.«
    »Das ist immer noch nicht alles«, sagte der Hagere hohl. »Denn Sven hatte was mit Nati. Die beiden waren zusammen bei uns im Dorf beim Junggesellenfest und haben geknutscht, als wären sie Adam und Eva.«
    »Waren sie denn in der gleichen Abiklasse?«
    »Ja!«, seufzte der Schnauzbärtige. »So war das. Du kannst dir an zwei Fingern ausrechnen, was das bedeutet: Sven tot, dann Nati tot. Oder halt, nein, eigentlich andersrum. Erst Nati tot, dann Sven tot.«
    Die beiden Polizisten standen nebeneinander und schauten mich an, als wollten sie sagen: Los doch, du weißt doch jetzt, was du wissen musst!
    Ein sanfter Wind strich durch die Baumwipfel und bog die Gräser am Weg. Erneut war Ciscos Jaulen von weit her zu hören. Ich sah in die beiden Gesichter und begriff eine Winzigkeit mehr, wie Polizisten denken. Zugleich begriff ich aber auch ihre Unsicherheit. Sie wussten von den kleinen Begebenheiten ihres eigenen Alltags, dass diese beiden Toten eine Liebesgeschichte miteinander gehabt hatten. Und sie hatten verstanden, dass diese junge Frau sehr schön gewesen war und dass Schönheit dieser Art auch immer massive Unwägbarkeiten mit sich brachte – vornehmlich für den, der sie liebte. So schlössen sie: Es hatte zwischen den Liebenden Krieg gegeben. Sven drohte der Verlust dieser Frau. Und er tötete sie, weil er das nicht ertragen konnte. Und weil er auch die Tötung nicht ertragen konnte, entschloss er sich, ebenfalls zu sterben.
    Dieser mögliche Ablauf der Geschichte verunsicherte die beiden Polizisten, denn im Grunde ihrer Wesen sehnten sie sich wie jeder andere nach positiven Gefühlen und einer harmonischen Form von Zusammengehörigkeit und Zweisamkeit – zugleich konnten sie der grausamen Brutalität nicht ausweichen. Sie wollten nicht eintauchen in so eine brutale Welt, aber genau das war ihre Pflicht
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