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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Autoren: Hannah Arendt
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beschloß er, die Verjährungsfrist von Mord erst mit dem 1. Januar 1950 anlaufen zu lassen.
    Die Hoffnung, das Verjährungsproblem damit erledigt zu haben, trog. Der Leiter der »Zentralen Stelle«, A. Rücken, rechnete Ende 1968 und Anfang 1969 den Parlamentariern vor, eine Auswertung allen einschlägigen Dokumentationsmaterials bis Ende 1969 sei nicht möglich und es sei zu erwarten, daß auch nach 1969 weitere NS-Verbrechen und NS-Verbrecher bekannt würden. Die Bundesregierung brachte daraufhin einen Gesetzentwurf ein, der die Aufhebung der Verjährung für Mord generell vorsah. Dazu konnte sich die Mehrheit des Bundestages zwar noch nicht verstehen, doch beschloß der Bundestag im Juni 1969 die Verlängerung der Verjährungsfrist für Mord auf 30 Jahre, was für NS-Verbrechen den Ablauf mit dem 31. 12. 1979 bedeutete.
    Im Juli 1979 beschloß der Bundestag schließlich – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Debatte und Argumentation in den internationalen Medien –, die Verjährung von Mord generell aufzuheben (vgl. Martin Hirsch, Anlaß, Verlauf und Ergebnis der Verjährungsdebatten im Deutschen Bundestag, in: Vergangenheitsbewältigung durch Strafverfahren, S. 40 ff.: Rückerl, NS-Verbrechen, siehe Sachregister; die parlamentarischen Debatten nebst Vorlagen, Berichten usw. sind dokumentiert in: Zur Verjährung nationalsozialistischer Verbrechen. Dokumentation der parlamentarischen Bewältigung des Problems 1960 – 1979, T. 1 – 3. Hrsg. v. Deutschen Bundestag, Presse- und Informationszentrum. Bonn 1980 = Zur Sache. 1980, H. 3 – 5).
    Mit der Aufzählung von Urteilen (die statistische Aufgliederung, S. 40, stammt aus »Der Spiegel« vom 24. 7. 1963) und der Kritik am Strafmaß reiht sich H. A. in das Heer der Urteilskritiker ein, die auf die dahinter stehenden rechtlichen Probleme nicht eingehen. Hier können nur einige von ihnen benannt werden: Der Zwang, staatlich organisierte Verbrechen (mit großen Täterzahlen und schwer vorstellbar großen Zahlen an Opfern) mit einem auf individuelle Verbrechen ausgerichteten Strafgesetz aburteilen zu müssen; daraus resultierend die Abgrenzungsprobleme zwischen Mord und Totschlag, vor allem aber die Frage der Qualifizierung der Taten Einzelner (im Rahmen der Mord-Organisation) als Mord oder Beihilfe zum Mord; hier hineinspielend auch das Problem des Tätertyps (der gutbürgerliche Mörder). Eine Strafprozeßordnung, die für derartige Mammut-Prozesse nicht ausgelegt war, deren Vorschriften über die Beweiserhebung nicht für Jahrzehnte nach der Tat stattfindende Verfahren gedacht waren und die in erheblichem Maße zur Länge der Verfahren beigetragen hat. In den Diskussionen über diese Problematik forderte die eine Seite vom Gesetzgeber gesetzliche Qualifizierungen und Strafandrohungen speziell für NS-Verbrechen zu schaffen, während die andere Seite ein Sonderrecht für NS-Verbrecher vor allem mit Blick auf das grundgesetzliche Rückwirkungsverbot zurückwies.
    Der Verdacht drängt sich allerdings auf, daß die im »Schlußstrich-Klima« der fünfziger Jahre entwickelten Beurteilungskriterien (vor allem hinsichtlich Mord oder Beihilfe) und Strafzumessungsgründe die richterliche Beurteilung der NS-Verbrechen auch für die spätere Zeit (in der die Justiz weniger auf Milde gestimmt war) präjudiziert haben.
    Für die Rechtsproblematik sei über die in Anm. 2 genannte Literatur hinaus noch verwiesen auf: Jürgen Baumann, Die strafrechtliche Problematik der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, in: Reinhard Henkys, die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, hrsg. von Dietrich Goldschmidt, Berlin 1964.
    5 Dr. Otto Bradfisch , seit 1943 Oberregierungsrat und SS-Obersturmbannführer, war 1941/42 Leiter des Einsatzkommandos 8 in der Einsatzgruppe B (Bereich der Heeresgruppe Mitte), ab April 1942 Leiter der Staatspolizeistelle Litzmannstadt (Lodz). Im Sommer 1944 wurde er als »Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD« Chef der Geheimen Staatspolizei und der Kriminalpolizei; ab Sommer 1943 führte er kommissarisch auch die Geschäfte der Oberbürgermeisters von Lodz.
    Bradfisch stand wegen seiner Handlungen als Leiter des Einsatzkommandos in München vor Gericht (seit April 1958 in U-Haft). Das Schwurgericht beim Landgericht München I befand ihn schuldig eines in Mittäterschaft begangenen Verbrechens der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 15 000 Fällen; es verurteilte ihn im Juli 1961 zu 10 Jahren Zuchthaus und erkannte ihm die bürgerlichen
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