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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg
Autoren: Martin Walser
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mitzuteilen, lange Gespräche zu führen, ihre Freundin zu werden. Anne hatte keinen Sinn für die mütterliche Kameraderie. Sie wußte, daß ihre Mutter stolz war auf ihre Haltung der Tochter gegenüber. Berta Volkmann wollte von ihrer Tochter wie eine ältere Schwester behandelt werden. Anne aber schämte sich. Hans hätte sich diesen Enthüllungen gerne entzogen. Aber Anne hatte niemanden, dem sie das sagen konnte. Die Philippsburger Freundinnen stammten alle aus Familien der Gesellschaft, mit der man es zu tun hatte, ihnen gegenüber durfte sie sich nicht offenbaren. Hans aber war fremd, ihm konnte sie alles erzählen. Sie lasse es sich gerne gefallen, hatte sie gesagt, daß ihre Mutter ihr beweise, wieviel moderner sie, die Mutter, sei, wieviel jünger auch als die Tochter. So verschlossen wie Anne, so wenig gesprächig, was die heiklen und doch so wichtigen Probleme des beginnenden Lebens angehe, sei man vor fünfzig Jahren gewesen, und wozu das geführt habe, das wisse man ja: zu Verklemmungen, zu unglücklichen Ehen, zum Schattendasein der wahren Empfindungen, zur Pflege quälend aufrechterhaltener, ganz hohler Fassaden! Berta Volkmann war, das hatte er ja gesehen, eine feurige Frau, eine Rednerin mit schönen Händen; aber ihre Tochter hatte keinen Sinn für die Schönheit ihrer Auftritte; sie saß und starrte mit einem aller Beherrschung und Aufmerksamkeit entglittenen Gesicht vor sich hin, während ihre Mutter wahrscheinlich hinter ihr und vor ihr auf und ab ging, mit ihren Händen immer wieder die Haare an den Schläfen zurückstrich und immer wieder versuchte, der Tochter begreiflich zu machen, daß sie glücklich sein dürfe, eine Mutter zu haben, mit der sie über alles so freimütig sprechen könne, eine Mutter, die nicht von konventionellen Vorstellungen eingeengt sei, die weder den Zwang kleingemünzter Religion, noch die lächerlichen Fesseln bürgerlicher Scheinmoral anerkenne, die vielmehr lebe und urteile in tiefem Einverständnis mit höherer, gewissermaßen nicht kodifizierbarer Religiosität und Moral. Anne aber wollte sich dieser schön vorgetragenen Liberalität nicht auftun. In störrischer Versunkenheit saß sie und ließ ihre Mutter reden und zeigte durch keine Bewegung, durch keine Antwort, ob sie noch zuhörte.
     Anne sagte, ihre Mutter sei vor ihrer Ehe fast eine Künstlerin gewesen. Bilder aus dieser Zeit hingen in kostbaren Rahmen in allen Zimmern der Volkmannschen Villa. Hans hatte einige davon gesehen. Meist waren es Darstellungen von Blumen, nicht in fröhlichen Farben, nicht die schönen Jahreszeiten in sich sammelnd, nein, Berta Volkmanns Blumen sahen aus, als wären sie alle im Winter gewachsen, bei Föhneinbruch allerdings, aber doch in einer Jahreszeit, in der man um eine Farbe ringen mußte, in der man eigenes Blut zugeben mußte, um ein Rot auf die Leinwand zu bringen. Nie waren die Blumen allein auf diesen Bildern. Sie füllten zwar den Vordergrund, fett, schwer, von keinem Wind zu bewegen, immer ohne Stiele, nur die Köpfe, die wie im Tod gekrümmte Leiber übereinanderlagen, immer in fahlen und düsteren Farben, Chrysanthemen, deren Blütenblätter bleichen Fleischwürmern glichen, Astern, die man hätte für Wundrosen halten können; aber hinter diesen Blumen starrten zwei Augen aus der braunschwarz grundierten Fläche, zwei Augen, oder eine Hand, oder der fahle Rücken einer Frau, oder das aufgeklappte Gebiß einer Pferdes, das zu grinsen schien, oder eine Priesterhand, die um ein Kreuz gekrallt war, nicht um zu segnen, sondern um zuzuschlagen mit diesem Kreuz, über die Blumenköpfe hinweg, dem Betrachter ins Gesicht. Dann hatte die gegen ihr Dasein malende Frau den Chefingenieur Volkmann kennengelernt, nach dem Krieg hatte der sich selbständig gemacht, war Fabrikant geworden, das Hauswesen hatte sich vergrößert, die gesellschaftliche Geltung hatte zugenommen, Frau Volkmann hatte ihrem immer noch pechschwarzen Haar eine fahle Stirnlocke eingefärbt, so zeigend, daß sie immer noch jung genug war, mit dem Alter ein scherzhaftes Modespiel treiben zu können.
     Hans hatte einige Male versucht, Anne zu unterbrechen, hatte auch versucht, ihre Mutter in Schutz zu nehmen, anstandshalber, weil es ihm immer peinlicher geworden war, so tief in das Leben dieser herrschaftlichen Villa, die er gestern noch gar nicht gekannt hatte, hineingezogen zu werden. Aber Annes breiter Mund war hart geworden, ihre Halssehnen schnitten durch die fahle Haut, sie hielt eine lang
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