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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg
Autoren: Martin Walser
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er freundlich die Schultern hängen läßt, wie er den Kopf ein wenig vorgesenkt trägt, mit schrägem Nacken, weil er immer mit den Leuten Berührung haben will, darum schlenkern seine Hände an den langen Armen auch bei jedem Schritt ein bißchen vor und zurück, unregelmäßig, gegen den Rhythmus der Schritte, er hat halt gar nichts Starres, nichts Hartes und übermäßig Entschlossenes, dieser neue Untermieter, er ist ein Schlacks und ein Gemütsmensch, und seine vollen, kurz vor den Rändern wieder aufwärts und abwärts sich rundenden Lippen zeigen deutlich, daß er gern lacht und Witze macht und wahrscheinlich auch gut küssen kann. Und er ist ein studierter Mann. Er schreibt in der Zeitung. Ihr werdet es bald lesen, hier in eurer Straße.
     Ja, so stolz etwa dürften Frau Färber und ihre Kinder gewesen sein. Frau Färber tat sich auf ihre Menschenkenntnis etwas zugute. Sie war bei ein paar richtigen Herrschaften in Stellung gewesen vor ihrer Ehe, vormachen konnte ihr keiner was! Der Reinfall mit der Dame vom Variete, daß die überhaupt ins Haus gekommen war, das war ihrem Mann zuzuschreiben, der hatte sie reingelassen, zwischen fünf und sieben abends hatte er die Sache perfekt gemacht, war dem Luder unterlegen. Nicht so weit, wie die Nachbarinnen wissen wollten. Das wußte sie besser. Aber weichgemacht hatte ihn das Luder, das war nicht wegzustreiten. Und sie, die Hausfrau, hatte sieben Monate gebraucht, bis sie die parfümierte Brünette, die im Karls-Variete die Nummern über die Bühne trug, wieder draußen hatte. Das waren harte Monate gewesen, Monate, in denen Eugen und sie mehr Krach gehabt hatten als in all den Jahren ihrer Ehe überhaupt. War vielleicht doch etwas gewesen zwischen Eugen und der Tänzerin (so hatte man das Nummerngirl in der Straße genannt)? Sie hatte es der Tänzerin einmal geradewegs ins Gesicht hinein gesagt, daß sie jetzt wisse, daß sie, die Tänzerin, ihren Mann herumgebracht habe. Da war die in einen Lachkrampf verfallen, den Frau Färber hatte anschauen müssen, dann hatte die Tänzerin sich wieder beruhigt, hatte sich aufgerichtet, und gut gewachsen war sie ja, das mußte man ihr lassen, und hatte ganz langsam und von oben herab gesagt: »Liebe Frau Färber, bilden Sie sich doch keine solchen Schwachheiten ein! Ich und Ihr Mann?! Ihr Mann (dabei hatte sie die Nasenflügel gebläht wie ein Pferd), der ist mir einfach zu dünn, verstehen Sie! Einfach zu dünn!« Das hatte Frau Färber tief getroffen. Aber so sehr es sie schmerzte, daß ihr Mann für zu dünn befunden wurde, so war sie doch von diesem Augenblick an ganz gewiß, daß er mit der Tänzerin nichts gehabt hatte. Und als sie ihrem Mann erzählt hatte, daß er der Tänzerin zu dünn sei, da änderte auch er seine Meinung über diese Person. Und nach vierzehn Tagen war sie draußen.
     Mit dem jungen Herrn werde sie besser auskommen, sagte Frau Färber, als sie Hans Beumann alles über seine Vorgängerin erzählt hatte; er liege ihr auch mehr als der Arbeitslose, der die Dachkammer über ihm bewohne; mit dem sei nicht viel los. Klaff heiße er, Berthold Klaff, ein Arbeitsloser, der den ganzen Tag schreibe und oft auch noch in der Nacht; gar kein gesprächiger Mensch, ein Sonderling, obwohl kaum dreißig Jahre alt, irgend etwas stimme nicht mit dem, das werde sie schon noch herausbringen. Kein Wunder, daß dem sogar die Frau entlaufen sei. Hals über Kopf habe sie zusammengepackt, viel habe sie ja allerdings nicht zu packen gehabt, und sei ausgezogen, ohne sich zu verabschieden. Und der Herr Klaff habe es bis heute noch nicht für nötig gehalten, ihr, der Hausbesitzerin, eine Erklärung über diese Vorkommnisse abzugeben. Man friere, wenn der einen bloß anschaue. Aber allzulange werde der ja nicht mehr hier wohnen, er sympathisiere nämlich mit Sporers; ein ganz verdächtiger Mensch, ungehobelt und voller Heimlichkeiten, und dazu noch arbeitsscheu. Den müsse er gar nicht erst kennenlernen, sagte sie und strahlte Hans an; sie sehe ja schon, daß er, Hans, nicht zu dem passe, deshalb wisse sie auch, daß sie mit ihm so gut fahren werde.
     Und die neugierigen Blicke der Nachbarn bestätigten ihr jetzt schon, daß sie einen guten Griff getan hatte. Ganz abgesehen davon, daß der junge Herr ohne Zögern bereit gewesen war, vierzig Mark Miete zu bezahlen, während die Tänzerin sich erst nach langem Handeln entschlossen hatte, fünfunddreißig zu geben. (Das erfuhr Hans allerdings erst sehr viel später von einer
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