Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
Baracke vom alten Sporer übernommen und fabriziere jetzt mit seinem Sohn, der Sporertochter und seiner Geliebten (von seiner Frau habe er sich vor einem Jahr getrennt) Kunststeine. Im hinteren Teil der Baracke wohne er seit neuestem mit seiner Geliebten, und diese wage es jetzt auch schon, am hellen Tag die Fenster aufzumachen, weil sie sich eine neue Couch und zwei Sessel angeschafft hätten. In der anderen Baracke, in der stattlicheren, produzierten zwei Studenten, ein Chemie- und ein Musikstudent, in ihrer Freizeit Fensterkitt. Die Baumstämme aber, die Zementröhren, Ziegelstapel, dreibeinigen Eisensilos und Großlagerschuppen, die den größten Teil der anderen Seite bedeckten, gehörten einer mächtigen Baumaterialienhandlung, deswegen könne man sich auch nicht gegen den Lärm und Staub wehren, den die Verladearbeiten dieser Firma oft bis tief in die Nacht hinein machten. Ihrem Mann, der um fünf Uhr heimkomme, sei dann der ganze Feierabend verdorben. Ja, und sie selbst müsse jetzt bald gehen, um vier Uhr fange sie im Polizeigebäude mit Putzen an und erst um elf Uhr nachts sei sie zurück. Aber so lange hüte ihr Mann ja die zwei Kleineren; das Fünfjährige nehme sie jetzt schon manchmal zur Polizei mit, weil es gegen neun Uhr selbst heimgehen könne. Der Leutnant habe übrigens nichts dagegen, daß das Fünfjährige mitkomme, er habe ihr sogar erlaubt, es in seinem Büro, das zu putzen von jeher zu ihren Vorrechten gehört habe, während die anderen die Wachtmeisterstuben, die Gänge und Treppen zu säubern hätten, in des Leutnants Büro also dürfe sie ihre Monika mitnehmen und sie auf dem Teppich spielen lassen. Beumann ließ sich nicht abschrecken. Das Zimmer entsprach seinen finanziellen Möglichkeiten. Mehr als vierzig Mark konnte er vorerst nicht ausgeben. Vor ihm habe vom Variete eine Dame in dem Zimmer gewohnt, ja, eine Dame, er könnte sich das schon vorstellen… Horst, der Zweijährige, Elsa, die Dreijährige und die fünfjährige Monika musterten den neuen Onkel, zupften an seinen Hosenaufschlägen, boten ihm Spielzeug an, klammerten sich an seine Knie; Monika lehnte sich an seine Schenkel und fuhr mit ihren kleinen Fingernägeln seine Bügelfalte nach. Horst, der Kleinste, hatte sich rittlings auf seinen rechten Fuß gesetzt, in die Beuge, wo der Schuh aufhört. Beumann spürte, wie seine Socken und dann sein Fuß warm und feucht wurden, er versuchte, sich freundlich zu wehren, gab vor, daß eines der Kinder sich wehtun könne an ihm, daß Elsa, wenn sie sich um sein Knie wand, das Gesicht irgendwo in der Kniekehle vergrabend, gar ersticken könne; aber die Mutter Färber, eine zerarbeitete Vierzigerin, mit Wulstlippen, die immer aufgeklappt waren, inseitig sichtbar bis dahin, wo sie ins vorgewölbte Zahnfleisch übergingen, so daß ein schartiges Zahngehege die Mundhöhle nach außen hin decken mußte, was nicht überall möglich war, diese gute und arbeitsame Frau hatte gar keine Angst um ihre Sprößlinge, im Gegenteil, sie ermunterte die Kleinen, während sie mit Beumann verhandelte, immer wieder, sie sollten sich mit dem neuen Zimmerherrn rasch befreunden, der neue Onkel verdiene es, sie sollten ihm zeigen, wie sehr sie sich über seinen Einzug in ihre Wohnung freuten.
     Ein bißchen zerknittert trat Beumann gegen vier Uhr mit Frau Färber und Monika auf die Straße. Elsa und Horst wurden eingeschlossen. Herr Färber würde sie, wenn er heimkam, wieder befreien, würde ihnen die Hände, die Hälse und die Gesichter waschen, ihnen zu essen geben, für ihre Abendunterhaltung sorgen und sie zu Bett bringen, um dann selbst noch im Keller eine Mauer zu reparieren, den Holzverschlag mit einer neuen Türe zu versehen oder die drei Quadratmeter Garten tief aufzugraben, weil man doch endlich einen Rosenstock vor dem Haus haben wollte. Frau Färber und Monika verabschiedeten sich überaus herzlich und laut; es war, als wollten sie den auf Kisten in den Vorgärtchen hockenden Großvätern der Nachbarn und den spärlich gekleideten Nachbarinnen, die in den Fenstern hingen und putzten oder auf Stühlen am Fenster saßen und nähten, als wollten sie allen, auch noch den Großmüttern, die in den Tiefen der Zimmer im farblosen Dämmer lagen, bekanntgeben, daß sie einen neuen Untermieter gefunden hatten, auf den sie stolz sein durften: einen jungen Mann, da schaut ihn euch an, die Haare frisch geschnitten und ordentlich zurückgekämmt, und so hochgewachsen, und doch gar nicht hochmütig, schaut, wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher