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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg
Autoren: Martin Walser
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unterdrückte Rede. Hans mußte zuhören. Er lernte Herrn Volkmann, den ehemaligen Chefingenieur und jetzigen Fabrikanten kennen, ehe er ihm beim Abendessen vorgestellt wurde. Ein Mann, der es verstanden hatte, aus den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Nachkriegszeit und aus seiner Sachkenntnis in der Rundfunkgeräteindustrie eine Fabrik zu schaffen. Er hatte deshalb nicht mehr soviel Zeit, sich auch noch um seine Frau, sein einziges Kind und sein Innenleben zu kümmern. Kein Wunder, daß dieses, nach dem Urteil seiner Frau, verkümmert und zurückgeblieben war. Frau Volkmann, die Künstlerin, hatte andere Bedürfnisse, höhere, sagte Anne. Sie spielte eine Rolle in der lebenslustigen Philippsburger Gesellschaft, sie lud gastierende Virtuosen und matineenspendende Schriftsteller in ihre Villa und verlangte von Anne, daß auch sie teilnehme an den Verfeinerungen des gesellschaftlichen Lebens. Anne aber zog offensichtlich den Ingenieursgeist ihres Vaters vor, sie konnte nicht so laut lachen, wie es der pointensichere Erzähler bei einer Cocktailparty von seinen Zuhörern erwarten durfte, sie verfügte nicht über jene federleichten Sätze, die man wie Bälle nimmt und gibt, wenn man mit einem Glas in der Hand vom Salon auf die Terrasse hinaustritt, sie war auch nicht fähig, die Konversation mit einem Mann durch reizvolle, interessierte, dämmende oder verstärkende Bewegungen ihrer Glieder zu begleiten, was einen Mann ja erst zum Weiterreden befähigt, weil seine Wirkungen in solchen Bewegungen wie in einem verschönenden Spiegel sichtbar werden. Anne war, zum Leidwesen ihrer Mutter, ein stilles, schwergliedriges Mädchen geblieben, das den Veranstaltungen ihrer Mutter mißtrauisch zusah. Sie sagte es mit einer für Hans geradezu schmerzlichen Offenheit, daß ihre Mutter ihren Vater betrüge. Mein Gott, sagte Hans, das sei auch eine Art Notwehr, er wußte nicht mehr weiter; jeder müsse sich eben helfen so gut es gehe, sagte er. Frau Volkmann sei eben eine Frau, die mit einer ungewöhnlichen Phantasie begabt sei, und Phantasie zu haben, heiße immer, Bedürfnisse haben, einer ungewöhnlichen Phantasie entsprächen wahrscheinlich auch ungewöhnliche Bedürfnisse. Und tatsächlich erschien ihm jetzt die Hausfrau wie ein weißhäutiges Tier, eine Hindin vielleicht, grünäugig, nackt und kräftig und in phantastischen Dschungeln äsend, mißtrauisch umherwitternd, ob nicht schon wieder irgendwo ihr Mann in Gestalt eines Roboters auftauche, um sie mit seinen nach technischen Formeln gebauten Armen zurückzuholen in seine für minderwertige Zwecke funktionierende Betriebswelt. Zu Anne sagte er lächelnd, das sei der Kampf Picassos gegen Gauguin oder sonst ein Kampf, das sei nun einmal so, in jeder Ehe. Für die Kinder sei es natürlich am schlimmsten, weil sie sich wohl oder übel allmählich zu einer Partei schlügen, obwohl sie doch beiden Parteien gleich nahestehen müßten. Nach dem Mittagessen hatte sich Anne geschämt, weil sie ihm am Vormittag soviel erzählt hatte. Wahrscheinlich hatte sie auch gespürt, daß sie Hans noch viel zuwenig kannte. Jetzt hatte sie ihn an einem einzigen Vormittag zu einem alten Freund gemacht. Erst auf dem Heimweg empfand Hans, wie eng Anne sich mit ihm verbunden hatte durch ihre Eröffnungen. Gewaltsam hatte sie ihn zu ihrem Vertrauten gemacht. Er mußte wiederkommen. Ob er wollte oder nicht. Nach solcher Vertraulichkeit wäre es eine grobe Unhöflichkeit gewesen, etwa gar nichts mehr von sich hören zu lassen.
     Nirgends konnte er sich aufhalten, ohne gleich in irgendeine blutwarme Gemeinschaft hineingerissen zu werden. Kaum war er einen Tag in dieser Stadt, krochen ihm schon die Färberkinder in den Hosenbeinen hoch, kitzelten ihn, bohrten sich mit Köpfen und Händen in seinen Bauch, Frau Färber selbst redete stundenlang auf ihn ein, wollte alles von ihm wissen und ihm alles sagen. Was war bloß an ihm, daß jetzt auch Anne, kaum daß sie sich begrüßt hatten, gleich begonnen hatte, ihren jahrelangen Kampf gegen ihre Mutter zu schildern? Hatte er das herausgefordert? Sicher nicht. Aber er hörte zu, hielt, weil ihm nicht in jeder Sekunde etwas Neues einfiel, den Kopf schräg nach vorne gesenkt, suchte in den Teppichmustern oder an den Schuhspitzen nach einem Gesprächsstoff, die anderen jedoch waren immer schneller, für sie war seine Haltung wahrscheinlich eine Aufforderung, sich aufzutun, endlich einmal zu sagen, was sie so lange hatten verschweigen müssen. Ob er gerne
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