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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg
Autoren: Martin Walser
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zuhörte oder nicht, das schien den anderen gleichgültig zu sein. Auch beim Abendessen in der Villa Volkmann war es wieder zu solchen Peinlichkeiten gekommen. Überhaupt dieses Abendessen! Hans hatte noch nie in einer großstädtischen Fabrikantenvilla zu Abend gegessen und war deswegen völlig unvorbereitet gewesen. Um sieben Uhr hatte die gnädige Frau auf der Terrasse den Gong geschlagen. Dreimal. Das hieß, noch eine halbe Stunde bis Essensbeginn, bitte fertigmachen, Make up, Toilette, was auch immer der einzelne vorzubereiten hatte. Hans wusch sich die Hände und schämte sich, weil er keinen dunklen Anzug hatte. Kurz vor halb acht rauschte eine schwarze Limousine die steile Auffahrt von der Straße herauf, ein baumlanger Chauffeur stürzte aus der vorderen Tür an die hintere und entließ ein kleines Männlein aus dem riesigen Fond des Gefährts, das war Herr Volkmann. Dann tönten von der Terrasse fünf Gongschläge. Es war soweit. Hans betrat das Eßzimmer an Annes Seite, die Handflächen hatte er zusammengelegt und dann gleich wieder auseinandergenommen, weil er merkte wie heiß seine Hände waren, und jetzt würde er wahrscheinlich soundso vielen Gästen vorgestellt werden. Aber er war überrascht, daß nur die gnädige Frau, Anne und er im Zimmer waren. Fünf Gongschläge, war das nicht ein bißchen viel? Mit den drei vorbereitenden Schlägen waren es sogar acht und mit Herrn Volkmann zusammen würden sie allem Anschein nach nicht mehr als vier Personen sein, und er der einzige Gast!
     Herr Volkmann war eingetreten, was Frau Volkmann zu dem Ausruf: »So!« veranlaßte, ob fröhlich oder bloß laut, konnte Hans nicht entscheiden, auf jeden Fall hörte das beziehungslose und für alle peinliche Herumstehen auf, Hans wurde rasch und energisch als ein Studienfreund Annes und als junger Journalist (er wollte sich wehren, aber wie?) vorgestellt; Herr Volkmann, der mit kleinen, eckig bemessenen Schritten und einem wahrscheinlich seit Jahren nach vorne gesenkten Gesicht hereingekommen war, am ganzen Kopf kurzes, milchweißes Haar (da und dort war auch eine gelbliche Strähne dazwischen), oben gerade so lang, daß es zu einem undeutlichen Scheitel reichte. Herr Volkmann hob sein Gesicht um ein winziges, drehte aber vor allem seine Augen nach oben, um den Nacken nicht so sehr gegen alle Gewohnheit aufrichten zu müssen, murmelte rasch ein »Sehr angenehm«, winkelte den rechten Arm kurz an, ohne den Oberarm zu bewegen, und tatsächlich erschien von unten eine Hand, sie hing matt und schlaff an einem kurzen Unterärmchen, Hans ergriff sie rechtzeitig, drückte sie, erschrak, weil er fürchtete, Herrn Volkmanns Fleisch quelle ihm zwischen den Fingern durch, so weich, so widerstandslos war diese Hand, sofort ließ er sie los, schaute ihr nach, wie sie wieder nach unten fiel und während dieses Falls Gott sei Dank wieder ihre alte Form, die durch den Händedruck für einen Augenblick zerstört worden war, zurückgewann. Unten schlenkerte sie noch ein wenig hin und her. Da Herr Volkmann sein Gesicht schon wieder in die bei ihm normale Vorlage gebracht hatte und überdies schon am Tisch saß, konnte Hans nicht sehen, wie der Hausherr seinen Händedruck aufgenommen hatte; um ihm ins Gesicht sehen zu können, hätte er schon neben ihm niederknien müssen. Seine Frau und seine Tochter hatte der Fabrikant mit raschen, nur mit Mühe wahrnehmbaren Bewegungen begrüßt. Frau Volkmann bediente eine kleine Tischglocke, sofort eilten zwei gleichgekleidete Mädchen herein und trugen die Suppe auf. Spargelcremesuppe. Frau Volkmann aber spann mit Hans und Anne eine Unterhaltung an, laut, sorglos und von Anfang an ganz deutlich auf sie selbst, Hans und Anne beschränkt. Herr Volkmann hielt sein Gesicht über die Suppe und löffelte regelmäßig. Der Löffel schien riesig in seinen kleinen Elfenbeinhändchen, riesig auch, wenn er sich dem zarten, kaum sichtbaren, schräggehaltenen Gesicht näherte. Wahrscheinlich war Herr Volkmann längst daran gewöhnt, daß seine Frau am Abend Gäste hatte, mit denen sie sich über Dinge unterhielt, die ihn nicht interessierten. Er kam zum Essen und hatte wohl seine eigenen Gedanken. Mochte seine Frau ihre Unterhaltung mit den Gästen fortsetzen, zumal sie ja diese Unterhaltung schon weiß Gott wann, vielleicht schon am Vormittag begonnen hatten. Wie sollte man sich da als Gast verhalten? Hans suchte verzweifelt nach einer Gelegenheit, den Hausherrn ins Gespräch zu ziehen. Sie unterhielten sich der
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