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Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort

Titel: Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beforderung eines Menschen von Ort zu Ort
Autoren: Beauman Ned
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wenn er glaubte, seine Brieftasche oder Pfeife verlegt zu haben (also ständig), von Kopf bis Fuß abzutasten, so ungeduldig, so harsch und ohne Rücksicht darauf, wo seine Taschen waren, dass es allmählich einer Art religiös-erotischem Selbstgeißelungsritual zu ähneln begann – und zugleich hatten sie großen Respekt vor der Weigerung ihres Mentors, mit den Haaren auch die Überzeugungen seiner jungen Jahre verloren zu geben. Was sie einte, war der Glaube daran, dass der Expressionismus noch nicht im Mindesten weit genug vorangetrieben worden war. »Der Expressionismus ist so wenig eine Theaterform, wie die Revolution eine Staatsform ist«, hatte Fritz Kortner geschrieben. Das mochte wohl sein, aber in diesem Fall war die Revolution verbockt worden. Die Neue Sachlichkeit, die den Expressionismus Mitte der zwanziger Jahre abgelöst hatte, war nichts gewesen als das alte Regime mit neuem Kabinett. Die Antwort des Neuen Expressionismus würde die alte Revolution mit neuen Bomben sein.
    Klugweil dagegen war ein Vierundzwanzigjähriger von einer so intensiven Schlaffheit, dass er sich fast verflüssigte, außer er trat auf die Bühne und öffnete die Pforten irgendeines inneren Tollhauses aus Schreien und Zuckungen, wilden Blicken und gefletschten Zähnen – womit er sich perfekt für die expressionistische Schauspielkunst eignete und für jede andere Art der Schauspielkunst so gut wie gar nicht. Er war mit Loeser auf der Universität gewesen, und der hatte sich immer gefragt, wie Klugweil wohl im Bett sein mochte, es aber nie gewagt, bei dessen langweiliger Freundin nachzufragen.
    »Sind wir so weit?«, fragte Loeser, der hinter der Bühne stand, die Hand am Hebel. Bevor Blumstein das Allientheater übernommen hatte, war es ein altmodisches Tingeltangel gewesen, und die Renovierungsarbeiten waren erst halb abgeschlossen, sodass einem die Farbflocken und Staubmäuse, Fäden und Polsterfussel, Spinnweben und Splitter nach ein paar Stunden hinter der Bühne so dicht in Haaren und Kleidern hingen, dass man sich vorkam wie ein in Paniermehl gewendetes Kalbskotelett.
    »Ja, nun mach schon«, sagte Blumstein auf seinem Platz in der dritten Reihe des leeren Zuschauerraumes.
    »Das zwickt unter den Armen«, sagte Klugweil, der auf der Bühne stand, in Gurte gespannt wie ein Testpilot, dem das Flugzeug abhandengekommen war.
    Lavicinis Erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort zu Ort war, wie sich gezeigt hatte, wahrlich einzigartig. Früher waren für einen Umbau bis zu sechzehn Bühnenarbeiter nötig gewesen, die sich mithilfe von Trillerpfeifen verständigten. Dann hatte es Giacomo Torellis Erfindung einer einzigen sich drehenden Achse möglich gemacht, mehrere Kulissen gleichzeitig zu bewegen, und die Anzahl von sechzehn auf einen reduziert. Aber die Herrlichkeit von Lavicinis Teleportationsvorrichtung hatte diesen Sprung nach vorn mit einem Schlag banal aussehen lassen. Als sich nach der ersten Szene plötzlich die ganze Bühne in die Lüfte erhob wie ein Vogelschwarm, schnappte das Publikum so heftig nach Luft, dass ein Barometer ausgeschlagen hätte. Eine gigantische versteckte Konstruktion aus Seilen, Kränen, Kurbeln, Laufrollen und -rädern, Federn, Gerüsten, Flaschenzügen, Gewichten und Gegengewichten hob jedes einzelne Teil des Bühnenbildes hoch, um alle Elemente in einem großen wallenden Wirbel neu zu arrangieren und sie anschließend mit einem kaum hörbaren Bums wieder abzusetzen. Bevor ein Mensch im Saal auch nur ans Ausatmen hatte denken können, war der Dritte Tempel der Echsen zur Sklavenbucht der Dagoniten geworden. Die Streicher verpassten ihren Einsatz, und eine Ballerina fiel in Ohnmacht, aber der folgende Jubel war so laut, dass es nicht darauf ankam. Hinten im Theater beschloss Auguste de Gorge, der nach der letzten Premiere mit acht Huren ins Bett gegangen war und nach der davor mit fünf, sich diesmal dreizehn zu gönnen. (Unlängst hatte ihm jemand von der Fibonacci-Folge erzählt, und er hatte das als Herausforderung verstanden.) Auf der Seitenbühne trat Adriano Lavicini mit maßvollem Lächeln von den Schalthebeln zurück. Eine Bühnenmaschinerie, so ehrgeizig, dass sie von Zauberei nicht mehr zu unterscheiden war: das hieß das Schicksal herausfordern.
    Loesers Teleportationsvorrichtung war dagegen nicht auf Effekt aus. Sie war einfach nur Mittel zum Zweck. Die erste Hälfte von Lavicini , bis zur Emigration der Hauptfigur nach Paris, sollte
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