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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut
Autoren: Katharina Burkhardt
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Arthur stützte sich auf seine Krücken. Er wirkte sehr erschöpft.
    Mia wollte ihn eigentlich nach Stefan fragen. Doch das konnte warten. »Ich dachte, du brauchst vielleicht jemanden zum Reden. Oder einfach zum Zuhören. Ich finde nämlich, dass niemand allein sein sollte, nachdem er soeben seinen Vater beerdigt hat«, sagte sie schlicht. Im Taxi hatte sie plötzlich verstanden, warum Arthur zu ihr gekommen war. Er suchte Trost. Und offenbar war sie in dieser Nacht der einzige Mensch, bei dem er ihn fand.
    »Reden?« Arthur runzelte die Stirn. »Zu reden gäbe es eine ganze Menge. Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll.«
    »Vielleicht einfach am Anfang?«
    Arthur warf Mia einen eigenartigen Blick zu. »Wie viel Zeit hast du?«
    »So viel, wie du brauchst.«
    Wieder dieser eigenartige Blick. »Dann setzen wir uns wohl besser.«
     
    Er ging vor ihr her zu seinem Schlafzimmer. Mia starrte auf sein Bein, obwohl sie das gar nicht wollte. Sie war nicht mehr so schockiert wie beim ersten Mal, nur eigenartig fasziniert. Dabei wurde der vernarbte Stumpf diesmal nicht von einem Stück Stoff verdeckt, sondern war deutlich sichtbar.
    »Ist kein schöner Anblick, ich weiß«, sagte Arthur über die Schulter, als habe er ihre Gedanken erraten.
    Mia bemühte sich um einen leichten Tonfall: »Das würde ich so nicht sagen. Dieser knackige Hintern ist sogar ein ausgesprochen schöner Anblick.«
    »Gib dir keine Mühe«, entgegnete Arthur, doch in seiner Stimme lag ein Hauch von Freude.
    Er ließ sich auf das Bett fallen. Mia folgte ihm zögernd. Sie hatte so viele intime Momente mit Arthur erlebt, und doch nie sein Schlafzimmer zu Gesicht bekommen. Sie wusste nicht genau, was sie eigentlich erwartet hatte. Einen riesigen Spiegel an der Decke über dem Bett vielleicht. Oder erotische Bilder an den Wänden. Fast war sie enttäuscht, dass es nicht so war. Das Zimmer war genauso nüchtern gehalten wie der Rest der Wohnung. Das große Bett war eindeutig frisch bezogen (wie zum Teufel machte er das bloß?), an der Wand hing ein großer Flachbildfernseher. Immerhin stand auf dem Nachttisch ein kleines gerahmtes Bild von Carol, daneben lagen eine Zeitung, ein Buch (irgendein Krimi) und eine Brille (seit wann brauchte Arthur die denn?). Über einer Stuhllehne hingen ein Paar gebrauchte Socken und ein T-Shirt. Das beruhigte Mia. Es war so wunderbar normal.
    Und dann entdeckte sie noch etwas, das sie sehr freute. Auf einer Kommode lag ein kleiner, unregelmäßig geformter schwarzer Stein mit weißen Flecken und einem runden Loch in der Mitte. Ein Hühnergott. Der Hühnergott, den Mia Arthur am Ostseestrand geschenkt hatte.
    Unschlüssig blieb sie in der Tür stehen.
    Arthur beugte sich mit einem gequälten Gesichtsausdruck vor und rieb sein linkes Bein.
    »Tut es weh?«, fragte Mia.
    »Ja. Das passiert leider häufiger seit meiner kleinen Odyssee.«
    »Was denn für eine Odyssee?«
    »Irrfahrt durchs Leben könnte man vielleicht auch sagen.«
    »Verstehe ich immer noch nicht.«
    »Ich ehrlich gesagt auch nicht.«
    Mia ließ sich auf der Bettkante nieder. »Willst du davon erzählen?«
    Arthur antwortete nicht und beschäftigte sich lange mit seinem Bein. Endlich hob er den Kopf. Seine Nähe machte Mia nervös, aber gleichzeitig war sie berührt von Arthurs offenem Blick und seiner überraschenden Bereitschaft, sie in sein privatestes Reich eindringen zu lassen.
    »Solltest du jetzt nicht eigentlich eher in Stefan Büttners Bett liegen, statt hier bei mir zu sitzen?« Seine ozeanblauen Augen leuchteten intensiv.
    Sie ließ sich nicht von dem gleichgültigen Klang seiner Stimme täuschen. Sie wusste, dass ihre Antwort wichtig war, für sie beide wichtig. »Ich glaube, in Stefans Bett ist kein Platz mehr für mich.«
    »Oh je. Das tut mir sehr leid.«
    »Hast du es gewusst?«
    »Was? Dass in seinem Bett kein Platz mehr für dich ist?«
    »Ja. Du hast vorhin so eine Andeutung gemacht.«
    »Ach, das. Na ja, man hört manchmal Dinge, die einen eigentlich nichts angehen.« Arthur wich ihrem Blick aus. Er wusste mehr, als er zugab. Aber es war nicht wichtig. Nicht jetzt.
    »Es ist nicht so schlimm.« Mia war fast erschrocken über die Gleichgültigkeit, mit der sie sich von Stefan verabschiedete. »Diese Geschichte ist nie richtig in Schwung gekommen. Irgendwie passten wir wohl nicht zusammen.«
    »Schade. Ich hätte dir mehr Glück gewünscht.«
    Mia lächelte wehmütig. Wie seltsam, hier auf Arthurs Bett zu sitzen und über Glück zu
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