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Ebbe und Glut

Ebbe und Glut

Titel: Ebbe und Glut
Autoren: Katharina Burkhardt
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reden.
    Sie rieb sich fröstelnd die Arme. Es war kühl in dem kleinen Raum und ihre dünne Bluse wärmte kaum.
    »Ist dir kalt?«, fragte Arthur. »Tut mir leid, ich heize den Raum nie und hatte vorhin auch noch das Fenster auf.« Er schlug die Bettdecke zurück. »Wenn du magst …«
    Sie setzten sich nebeneinander in sein Bett und zogen sich die Decke bis zum Kinn hoch.
    »Mir scheint, wir können heute beide etwas Trost gebrauchen.« Arthur rückte das Kissen in seinem Rücken zurecht.
    »Bei mir ist alles in Ordnung«, behauptete Mia.
    »Und warum siehst du dann so traurig aus?«
    Die Frage traf sie unvermittelt. Sie wusste keine Antwort darauf. Aber sie spürte dieses Gefühl von Traurigkeit tatsächlich, seit sie im Taxi an Arthur denken musste. Sie zog die Bettdecke noch ein Stückchen höher. »Vielleicht bin ich einfach nur müde«, murmelte sie.
    Arthur legte einen Arm um sie. Es war eine überraschende Geste, aber an diesem Abend gab es so viele Überraschungen, dass Mia kaum noch in der Lage war, jede einzelne zu registrieren. Arthurs Wärme umfing Mia, sie legte versuchsweise ihren Kopf an seine Schulter und staunte, wie gut sich das anfühlte. Darum verstand sie auch nicht, warum sie plötzlich weinen musste. Arthur zog sie noch enger an sich.
    »Ich bin ja eine tolle Trösterin«, schluchzte Mia. »Du hast deinen Vater verloren und ich heule hier rum.«
    »Ich werte das mal als ein Zeichen von Empathie.« Arthurs Mund war dicht an ihrem Ohr, er hielt sie behutsam fest.
    »Das ist es nicht.«
    »Nicht? Du weinst nicht aus Mitgefühl? Jetzt bin ich aber enttäuscht.« Er lächelte.
    Auf einmal war er ihr so zugewandt, so nah. Das war es wohl. Die Sehnsucht, die sie so lange weggesperrt hatte, suchte sich mit einer Macht, die Mia überwältigte, ihren Weg.
    »Es ist … ich bin so durcheinander, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«
    Arthur lächelte erneut. »Vielleicht einfach am Anfang?«
    Sie lachte, als sie ihre eigenen Worte erkannte. »Ist das nicht seltsam? Manchmal versteht man sich mit einem Menschen richtig gut, alles läuft perfekt, aber so sehr man sich auch bemüht, man kann ihn einfach nicht lieben. Jedenfalls nicht so lieben. Dann wieder ist es genau anders herum. Man glaubt, überhaupt nicht zu jemandem zu passen und geht so sehr auf Abwehr, dass man seine eigenen Gefühle total verdrängt. Aber man kann tun, was man will, sie tauchen immer wieder auf.«
    »Man kann sich eben nicht aussuchen, in wen man sich verliebt. Das passiert einfach.«
    »Ja, genau, es passiert einfach.«
    »Und das ist so fürchterlich, dass du deswegen weinen musst?« Arthurs Stimme war leise und rau.
    »Ich glaube, ich bin gar nicht traurig. Nur bewegt, weil ich das alles endlich verstanden habe.«
    Sie freute sich, als sie sah, dass er genau wusste, was sie meinte.
    »Woran ist dein Vater gestorben?«, fragte sie nach einer Weile. Es war nicht das, was sie sagen wollte und auch nicht die wichtigste Frage, die sie hatte, aber die unverfänglichste.
    »An Prostatakrebs. Er ist viel zu spät zum Arzt gegangen. Wie Männer halt so sind.« Ein leises, trauriges Lachen. »Erst glauben wir, dass wir unverwüstlich sind. Und dann, wenn es doch ernst wird, sterben wir lieber, statt uns helfen zu lassen.« Ein langes Zögern. Ein Schweigen, in dem er Mut fasste. »Mir ist es auch so gegangen. Ich hätte mich auch fast umgebracht. Aus lauter Feigheit.«
    Mia glaubte, dass er von dem Unfall sprach. »Aber du konntest doch nichts dafür. Es hat doch nichts mit Feigheit zu tun, wenn einem ein anderes Auto die Vorfahrt nimmt.«
    »Ich meine nicht den Unfall. Ich meine das, was im letzten Jahr passiert ist.«
    Mia hielt den Atem an. »Willst du davon erzählen?«, fragte sie erneut.
    »Ja«, sagte Arthur, und er klang erleichtert.
    Leise und stockend erzählte er von seiner Flucht, von den Reisen, den Frauen, dem Alkohol, den Tabletten. Und davon, wie sich sein Bein immer mehr entzündete und am Ende so schlimm aussah, dass sie ihm im Krankenhaus um ein Haar noch ein Stück von seinem Stumpf weggeschnitten hätten.
    »Ich war komplett hinüber«, schloss Arthur. »In der Klinik musste ich erst mal einen regelrechten Entzug machen, bevor ich wieder klarer sah.«
    Mia war bestürzt. Sie brauchte nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was Entzug bedeutete. Allerdings konnte sie sich weder vorstellen, wie Arthur völlig abgerissen in einer schummrigen Bar versackte, noch wie er zitternd und schwitzend in einem
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