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Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)

Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)
Autoren: Kim Paffenroth
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an das Maul eines Tieres, und während er mit seinen widerlichen Klauen nach oben kletterte, schien es beinahe, als nage er an der Rinde des Baumes.
    Einige Augenblicke lang stand ich nur da und sah zu ihm nach unten. In Momenten wie diesen – von denen es in den letzten paar Monaten einige gegeben hatte – wünschte ich mir immer, ich sei Raucher. In ein paar Sekunden musste ich gegen dieses Ding kämpfen, und einer von uns würde danach nicht mehr existieren – »sterben« war hier ganz offensichtlich nicht das richtige Wort – und allein die Tatsache, dass ich dort stand und über diese Unvermeidlichkeit nachdachte, schrie geradezu nach irgendeiner Ablenkung, nach einer zwar sinnlosen, aber dennoch sinnlichen Angewohnheit wie das Rauchen, die dem Ganzen ein wenig den Schrecken nahm. Ich schätze, ich hätte einen Kaugummi kauen können, aber das schien mir diese Situation, die so ernst, überwältigend und traurig war, dass wohl nur wenige Menschen je etwas Schlimmeres erlebt hatten, eher ins Lächerliche zu ziehen.
    Da ich nichts hatte, das mich hätte ablenken können, spürte ich die volle Last dieser unvermeidlichen, entsetzlichen Pflicht auf meinen Schultern, und sie kam mir unendlich schwer und ungerecht vor. Ich war eben erst aus einem relativ friedlichen Schlaf erwacht, und doch überkam mich bereits wieder drückende Müdigkeit. Wie gesagt – ein ziemlich typischer Vormittag.
    In den vergangenen Monaten hatten sich die Leute unzählige Namen für die wandelnden Toten ausgedacht. Wenn wir nicht gerade gegen sie kämpften oder wie der Teufel vor ihnen wegrannten, überlegten wir uns für gewöhnlich amüsante Bezeichnungen für sie. »Fleischpuppen« war ein ziemlich beliebter Ausdruck. Manche fanden »Jacks und Janes« passend, so als seien sie nur ein paar nervtötende Nachbarn aus dem nächstgelegenen Kreis der Hölle.
    Manchmal, wenn sie besonders laut und wild waren, aber keine unmittelbare Bedrohung darstellten, nannten wir sie auch einfach nur »Eingeborene«, in Anlehnung an »Die Eingeborenen sind rastlos«. Vielleicht war das ein bisschen rassistisch, ich weiß es nicht. »Wandelnde Leichen« traf es schon ziemlich genau. Meistens blieben wir jedoch beim Altbewährten – Zombies. Genau das waren sie schließlich, und wir selbst waren stets nur einen Atemzug davon entfernt, selbst einer zu werden – ein stumpfsinniger, wankender Fleischsack ohne Verstand.
    Mein Zombie an diesem Morgen sah aus, als sei er in seinem menschlichen Leben ein Mann mittleren Alters gewesen, bereits leicht ergraut und durchschnittlich gebaut. Sein Anzug war noch unbeschädigt, und abgesehen von der Wunde am Hals gab es keinerlei Anzeichen für weitere Kämpfe mit Menschen oder anderen Zombies. Der Zerfall hatte jedoch seinen Tribut gefordert, und er sah eher vertrocknet als klebrig und schleimig aus, mehr wie eine spröde Hülse als der triefende Eitersack, in den sich einige andere verwandelten.
    Zunächst nahm ich ihn gründlich in Augenschein, um beurteilen zu können, welche Bedrohung von ihm ausging und um meinen Angriff zu planen, aber schon bald schweifte ich ab und malte mir sein menschliches Dasein aus. Vielleicht hatten seine Kinder ja dieses Baumhaus gebaut und er hielt sich deshalb in seiner Nähe auf, fast so, als wolle er es bewachen oder als warte er darauf, dass sie zurückkehrten. Oder schlimmer noch – vielleicht waren es seine Kinder gewesen, die ihm die Kehle zerfetzt hatten, als er mitten im Chaos des Ausbruchs nach Hause geeilt war, um sich, hoffnungsvoll trotz aller Hoffnungslosigkeit, zu vergewissern, dass es ihnen noch gut ging. Vielleicht war er aber auch, was nicht weniger entsetzlich gewesen wäre, an seiner Arbeitsstelle oder auf dem Nachhauseweg gebissen worden und zu Hause eingefallen, um seine Kinder zu töten.
    In meinem Kopf drehte sich alles, und ich klammerte mich an die Wand des Baumhauses. Ich hatte von Soldaten in anderen Kriegen gehört, die irgendwann ein »Tausend-Yard-Starren« entwickelten, einen vollkommen hohlen Blick, an dem man erkannte, dass sie sich mit der Hoffnungslosigkeit und dem Schrecken rundum abgefunden hatten; meist dauerte es dann nicht mehr lange, bis sie entweder starben oder wahnsinnig wurden. Ich hingegen litt unter dem Tausend-Yard-Starren aus dem Krieg gegen die Untoten: Wenn man sich die Zombies erst als menschliche Wesen vorstellte, wenn man darüber nachdachte, dass sie einst Kinder gehabt, gelebt und geliebt und Sorgen, Hoffnungen und Ängste in
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