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Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)

Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)

Titel: Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)
Autoren: Kim Paffenroth
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Kapitel 1
    Als ich erwachte, sah ich, dass sich ein einsamer Zombie unter mein bescheidenes Versteck verirrt hatte. Das Baumhaus, in dem ich die Nacht verbracht hatte, war nicht besonders solide gebaut – der Boden bestand aus einer einfachen, mit ein paar Brettern verstärkten Sperrholzplatte und drei Sperrholzwänden, die vierte Seite war offen. Ein Dach gab es nicht, aber der Himmel war klar, also war mir das egal. Die einzelnen Bauteile waren nicht angestrichen und allesamt irgendwie schief, an vielen Stellen klafften große Lücken, und die Wände waren zwischen einem halben und einem Meter hoch. Das Baumhaus saß jedoch höher in den Ästen als üblich, fast vier Meter über dem Boden (die Mutter des Kindes musste eine, wie wir das immer genannt hatten, »coole Mom« gewesen sein, wenn sie ein so gefährliches Spielhaus erlaubte), sodass ich umso überraschter war, als ich meinen unerwünschten Besucher sah.
    Ich ließ meinen Blick über die umliegenden Felder und Bäume schweifen und vergewisserte mich, dass der Zombie und ich allein waren; mein Herzschlag verlangsamte sich. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich meine Situation komplett verändert: Eben noch in friedliche morgendliche Träumereien versunken, blickte ich im nächsten Moment dem möglichen oder gar sicheren Tod ins Auge, aber letztlich löste sich das Ganze dann doch nur in einer kleinen Unannehmlichkeit auf. So gesehen war es ein recht typischer Vormittag.
    In Baumhäuser oder auf irgendwelche anderen erhöhten Plattformen zog ich mich, seit ich durch das Land wanderte, nachts am liebsten zurück, wenn ich ein paar Stunden Schlaf nachholen wollte. Wenn man sich in ein Haus wagte, musste man es zuerst gründlich durchsuchen, und wenn man später zu schlafen versuchte, fragte man sich trotzdem immer, ob man nicht doch ein Versteck übersehen hatte, aus dem der echte Boogeyman, der keinen Schlaf braucht, des Nachts hervorkriechen würde. Die Türen und Fenster zu verbarrikadieren machte ziemlichen Krach, der oft eine wachsende Ansammlung Untoter anlockte, deren Stöhnen und Kratzen an der Tür einen dann vermutlich nicht nur die ganze Nacht wach hielt, sie stellten außerdem eine Gefahr dar, wenn man seinen Unterschlupf am nächsten Morgen wieder verlassen wollte. Wenn man nicht in einer Gruppe unterwegs war, war ein Gebäude nicht gerade die beste Wahl bei der Suche nach einer gemütlichen Unterkunft am Rande der Hölle.
    Kleine erhöhte Plattformen waren hingegen ideal. Nicht gemütlich, aber ideal. Normalerweise musste man sich irgendwie an ihnen festbinden, um nachts nicht hinunterzufallen, und außerdem meist im Sitzen schlafen, aber das war kein sehr großes Opfer, wenn man im Gegenzug ein paar segensreiche Stunden lang ein bisschen Seelenfrieden fand. Die Untoten sind von Natur aus nicht neugierig und schauen fast nie nach oben, sodass die Chancen, entdeckt zu werden, wenn man sich erst einmal in seinem kleinen Adlerhorst befand, recht gering waren. Außerdem wurde der eigene Geruch von dort oben normalerweise nicht zu den Biestern nach unten getragen, und genau aus diesem Grund hatten die Jäger die Plattformen früher benutzt – in Zeiten, als die Menschen noch die Jäger waren, nicht die Gejagten. Die Baumhäuser stimmten mich immer ein wenig traurig, da sie mich an meine Kinder erinnerten – aber was sollte ich denn tun? Auf jeden Fall waren meine kleinen Himmelskästen die besten Nachtlager, solange die lebenden Toten unterwegs waren. Aber »das Beste« war noch nie gleichbedeutend mit »perfekt«, und diese kleine Weisheit war nun unendlich wahrer als zuvor.
    Ein Grund, weshalb der Zombie und ich an diesem Morgen allein blieben, war, dass er nicht in der Lage war, einen Laut von sich zu geben. Wie so vielen seiner Artgenossen hatte man ihm die Kehle aufgerissen, sodass seine Luftröhre nur noch ein zerfetztes Loch war, und die Vorderseite seines Anzugs war über und über mit braunen Blutflecken bedeckt.
    Er sah mit teilnahmslosen, trüben Augen, denen jeglicher Ausdruck fehlte, zu mir nach oben – da waren kein Hass und nichts Böses, ja nicht einmal Hunger. Nur Leere. Trotzdem waren sie irgendwie unheimlich – wie der starre Blick einer Schlange oder eines Insekts. Dieser Blick würde sich nie ändern, egal, ob man ihm einen riesigen Nagel in den Kopf jagte oder ob er seine gelben Zähne in weiches, warmes Menschenfleisch bohrte; er empfand weder Angst noch Befriedigung. Sein weit aufgerissener Mund erinnerte hingegen eher
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