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Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Titel: Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Autoren: Moira Young
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wäre, hätten sie Robbie und seine Schwester mitgenommen. Beide waren jung und gesund. Aber wohin hätten sie sie gebracht? Woher kommen der Junge und das Mädchen in dem Wagen, die Umsiedler? Vielleicht wurden auch sie ihren Familien geraubt. Aber sie schienen nur allzu bereitwillig. Mehr als bereitwillig. Der Junge hat bei der Vertreibung mitgemacht. Hat die Sache selbst in die Hand genommen.
    Der Kreis mit dem Kreuz darin auf ihrer Stirn hat etwas zu bedeuten. In Hopetown brandmarkten die Tonton die Huren mit einem W – für
whore
 –, aber von anderen Brandmarkungen hat er noch nie gehört. Brandmale sind etwas Bleibendes. Sie zeigen an, zu welcher Gruppe man gehört.
    Gesunde junge Menschen, gebrandmarkt. Gebietserweiterung. Raub von fruchtbarem Land und sauberem Wasser. Gewalt über die Naturschätze. Neue diszipliniertere Tonton, die Befehle ausführen. Aber wessen Befehle? Von jemand Höhergestelltem. Von jemandem, der auf etwas Größeres hinarbeitet. Ein Mann mit einem Plan.
    Dieser Mann müsste große Macht haben. Er müsste entschlossen, diszipliniert, überzeugend und sehr, sehr klug sein.
    Jack kennt nur einen solchen Mann. Einen Tonton. Er war Vikar Pinchs Stellvertreter. Die Macht hinter dem Thron. Er ritt vom Pine Top Hill weg, bevor der Kampf auch nur begonnen hatte. Er verließ seinen wahnsinnigen Herrn, überließ ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, seinem Schicksal. Und er nahm auch ein paar Männer mit.
    DeMalo.
    Das Ganze muss schon eine Weile im Gang sein. So weit, wie es gediehen ist, muss es in die Wege geleitet worden sein, als Vikar Pinch noch lebte. DeMalo muss nebenbei sein eigenes Süppchen gekocht haben. Das erklärt auch die Gerüchte, die Jack vor ein paar Jahren zum ersten Mal gehört hat. Das wenige, was er über den Mann weiß, was er mit eigenen Augen gesehen hat, zeigt ihm, dass DeMalo niemand ist, der auf einen blutigen Umsturz aus ist.
    Er ist viel gerissener. Er ist der Dolch in der Dunkelheit. Das Gift im Getränk. Er muss auf den richtigen Zeitpunkt gewartet haben. Jack kann sich das verstohlene Lächeln vorstellen, das DeMalo sich sicherlich gestattet hat, als ihm klar wurde, dass sie am Pine Top Hill die Drecksarbeit für ihn erledigen würden.
    Jedenfalls hat er die Sache ins Rollen gebracht, außer Sicht- und Hörweite von Pinch. Das hätte er nicht tun können, ohne sich dauerhaft der Treue und des Stillschweigens seiner Tonton-Gefolgsleute zu versichern.
    Unerhört. Sehr interessant. Sehr besorgniserregend.
    Jack würde viel darum geben zu wissen, was genau DeMalo vorhat. Wo. Wie. Und warum.
    Je eher er das Lost Cause erreicht, desto besser.

    D ie Schenke steht an der Kreuzung vor ihm. Es ist ein niedriges Gebäude, das sich gleichsam an den Boden drückt. Ein schäbiges Etwas. Es steht einsam und allein auf der verdorrten weiten Ebene, umgeben von bedrückenden schwarzen Bergen.
    Das Lost Cause. Endlich.
    Wegen des Umwegs, den er genommen hat, um den Tonton auch garantiert nicht zu begegnen, hat er trotz scharfen Reittempos eine ganze Woche bis hierher gebraucht. Viel länger, als er gedacht hatte. Es ist kurz vor Tagesanbruch. Bei Tagesanbruch und zur Abenddämmerung geht es im Sturmgürtel rund. Er sieht zum Himmel. Pünktlich türmen sich hässliche braune Wolken über der Ebene auf. Aus allen Richtungen jagen sie herbei, stolpern und überschlagen sich vor Hast. Ein mächtiges Gewitter braut sich zusammen. Ein Sulfatgewitter.
    Atlas wirft den Kopf hin und her. Tänzelt ein bisschen. Jack zwingt ihn mit den Fersen, weiterzugehen. An der Schenke springt er ab und bringt ihn in den Stall. Das einzige andere Pferd im Stall ist Prue, Mollys rötliche Langhaarstute. Im Trog ist frisches Futter, in der Tränke Wasser. Immerhin. Er hatte schon Angst, dass die Tonton die Schenke vielleicht niedergebrannt haben, wenn er ankommt. Trotzdem: Normalerweise ist der Stall gut gefüllt mit den Reittieren der Gäste: Maultiere und Pferde, auch schon einmal ein Kamel.
    Als er auf die Tür zugeht, quietscht das Schild der Schenke im aufkommenden Wind. Die Farbe ist verblichen und blättert ab, aber er kann das winzige Boot gerade noch erkennen, das in stürmischen Wellen untergeht und gleich von einer gewaltigen Woge verschluckt werden wird. Jedes Mal, wenn er hier ist, rechnet er halb damit, dass das Boot fort ist. Untergegangen.
    The Lost Cause – Der Hoffnungslose Fall. Nie war der Name einer Schenke passender. Ein Haufen Abwrackerschrott, in den nicht einmal eine Ratte
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