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Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Titel: Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Autoren: Moira Young
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die Nase stecken würde. Fetzen von wer weiß was. Ramponierte Überreste von diesem und jenem. Sie sieht aus, als könnte schon ein tiefer Seufzer sie einstürzen lassen. Aber sie steht schon ewig hier. Sie stand schon, lange bevor das Wetter sich veränderte und die Stürme aufkamen. Als das hier noch eine grasbewachsene grüne Ebene voller Leben war. Schon damals war es eine weithin bekannte Spelunke und ein Dirnenhaus. Aber als Mollys Familie die Schenke übernahm, wurde sie berüchtigt. Vier Generationen von Pratts machten sie zur einzigen Raststätte in dieser Gegend. Spektakuläre Raufereien, Schurken, die in einer finsteren Ecke Unheil ausheckten, hektisch-schrille Musik, Getränke, so scharf, dass sie einem die Haarwurzeln betäubten, und leichte Mädchen jeder Prägung. Er fragt sich, ob Lilith immer noch hier arbeitet. Sie muss schon ein bisschen älter sein.
    Er hat das Lost Cause noch nie geschlossen erlebt, weder tagsüber noch nachts. Molly ist sicher noch wach, selbst um diese Zeit. Sie ist Frühaufsteherin. Kommt mit vier Stunden nachts und einem Nickerchen am Nachmittag aus. Vielleicht steht sie sogar noch hinter der Theke.
    Vor der Tür zögert Jack. Vor Anspannung ist ihm flau im Magen. Immer wieder hat er darüber nachgedacht, was er zu ihr sagen wird. Wie er ihr von Ike erzählen soll. Und er weiß es immer noch nicht. So etwas musste er noch nie tun. Er muss einfach hoffen, dass ihm die richtigen Worte einfallen.
    Um Zeit zu schinden, klopft er den Staub von seinem Hut. Zupft an der Taubenfeder, die im Hutband steckt. Flüchtig spielt ein kleines Lächeln um seine Lippen, als er sich daran erinnert, mit welchem Tamtam Emmi die ideale Feder gesucht hat, um seinen ramponierten alten Hut zu verschönern. Er setzt ihn wieder auf. Schiebt ihn keck über ein Ohr.
    Dann atmet er tief durch. Öffnet die Tür. Und geht hinein.

    M olly steht hinter der Theke und trocknet Schnapsbecher ab. Die rostigen zerbeulten Blechbecher und -krüge sehen sogar noch ungesünder aus als bei seinem letzten Besuch. Sie arbeitet sich durch einen ganzen Haufen, als würden jede Menge durstiger Zecher auf sie warten. Er ist der einzige Gast.
    Sie sieht hoch. Sie kann nicht verhindern, dass sie vor Überraschung zusammenfährt. Dass blitzartig Freude über ihr Gesicht huscht. Und noch etwas. Erleichterung. Gleich darauf ist das alles weg. Sie hat die Maske wieder aufgesetzt. Das Lächeln, das besagt: Hab ich alles schon mal gehört. Den Blick, der schon alles gesehen hat.
    Sie haben eine gemeinsame Geschichte, Molly und er. Und die reicht tief. Trotzdem galt die Freude nicht ihm. Niemals seinetwegen die wilde, heiße Freude, die gerade aufgeschimmert ist. Nein. Sie glaubt, Ike sei bei ihm. Er hat einen Kloß im Hals, muss schlucken.
    »Schau an«, sagt sie gedehnt, »wen der Wind reingeblasen hat.«
    Sie geht wieder an die Arbeit. Ihre dichten blonden Locken sind hinten zusammengebunden. Sie hat aufreizende Lippen. Gefährliche Kurven. Einen direkten Blick. Reisende machen weite Umwege, nur um mit ihr in einem Raum zu sein. Auf mehr können die meisten nicht hoffen.
    »Molly Pratt«, sagt er. »Sag mir noch mal, was macht ein himmlisches Geschöpf wie du in so einer Bruchbude?«
    »Halunken wie dir Fusel servieren. Und wenn du mein Haus noch mal Bruchbude nennst, kriegst du Hausverbot.«
    »Hab ich letztes Mal schon bekommen und das Mal davor und das davor. Schon vergessen?«
    »Ach, stimmt. Tja, komm rein, nur nicht so schüchtern. Du stehst da wie eine Jungfrau in ihrer Hochzeitsnacht. Setz dich, trink was, hol einen Stuhl für Ike. Wo ist er? Pferde versorgen?«
    Er antwortet nicht. Er wird sich langsam herantasten an das, was er sagen muss. Wird zuerst ein Glas trinken oder drei. Wird auf den richtigen Augenblick warten. Er geht zur Theke und schnappt sich unterwegs zwei Hocker. Wirft seine Satteltasche aus Rinde auf den Boden, lässt den Waffengürtel auf die Theke fallen. Überall ist Sand. Sammelt sich in den Ecken. Treibt um seine Füße, wenn es von der Tür her zieht.
    »Da draußen passieren schlimme Sachen, Molly.«
    »Willkommen in New Eden, dem neuen Paradies!«, sagt sie. »In der strahlenden, funkelnagelneuen Welt.«
    »Blutige Welt, meinst du.«
    »Die Welt ist immer schon blutig gewesen. Bloß ist heute das Blut von manchen besser als das von anderen.«
    »Was gibt’s Neues?«, fragt er. »Die Tonton sind jedenfalls nicht mehr das, was sie mal gewesen sind. Was ist mit ihrem Anführer? Schon mal den Namen
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