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Durcheinandertal

Durcheinandertal

Titel: Durcheinandertal
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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schwer, auch er war Millionär. Dank seiner drei Frauen, wovon die dritte, die noch lebende, ihn am meisten tyrannisierte, wobei sich Moses Melker dagegen gesträubt hätte, dieses Tätigkeitswort in bezug auf seine Ehe angewendet zu wissen.
    Er ging in ihr auf. Aus Liebe, wie er sich einbildete, aus Furcht 21
    in Wirklichkeit. Weil Cäcilie Melker-Räuchlin alles von ihm wußte. Auch die Sache mit Lisi Blatter, der Serviertochter im
    ›Bären‹, eine Woche nach seinem Kurhausaufenthalt. An einem Samstag abend. Moses Melker mußte von Sinnen gewesen sein. Die Bretter über dem Abgrund hatten nachgegeben, und wiederum hatte es mächtig geplanscht. Wer vergewaltigt schon eine Kellnerin und schmeißt die Leiche in die Grien, in einen Forellenbach, der sich an Grienwil und Matten vorbei in die Emme schlängelt. Er hatte nur einen Abendspaziergang machen wollen. Es war auch gar keine Vergewaltigung. Lisi konnte nicht genug haben. Aber dann hatte sie gesagt, kein Wunder, daß er nicht genug haben könne, bei seiner Alten. Da sei er eben ausgehungert. Darauf hatte er sie angefallen und erwürgt. Daß er sie noch in den Bach schmiß, war sinnlos. »Du wirst mich nie kriegen«, hatte sie Egglers Knecht Sämu auf der Brücke ins Gesicht gelacht und Moses Melker die Grien hinauf unter die Weiden gezerrt. Er schaute lange auf die Leiche in der Grien. Die Glocken von Grienwil begannen zu läuten, dann die von Matten, die von Bubendorf etwas später. Bubendorf kam immer später. Darauf waren auch die Glocken von Niederalmen zu hören. Es war wie bei einer Beerdigung. Tränen liefen über Moses Melkers Backen. Die Grien floß träge dahin. Sie war nicht tief. Lisi lag in einer Mulde. Manchmal kam eine Forelle, manchmal bewegte sich die Leiche. Die Glocken von Grienwil hörten auf zu läuten, dann die andern. Nur die von Niederalmen waren noch zu hören. Die hatten dort einen ökumenischen Gottesdienst. Als er zur Brücke zurückkehrte, war Sämu immer noch dort. Moses Melker blieb neben ihm stehen. Beide schauten in den Bach. Die Sonne war hinter dem Hubel schon untergegangen. Lisis Leiche kam die Grien hinuntergetrieben.
    Sämu sagte Gottverdeckel. Jetzt waren auch die Glocken von Niederalmen nicht mehr zu hören. Der ökumenische 22
    Gottesdienst hatte begonnen. Auf Moses Melker lastete der Reichtum. Er hatte Emilie Lauber, Ottilie Räuchlin und Cäcilie Räuchlin geheiratet und nicht ein sinnliches Donnersweib wie Lisi Blatter, deren Leiche friedlich mit weitgeöffneten Augen unter der Brücke verschwand, wieder zum Vorschein kam und weiterglitt, der Emme zu. Die Leiche hatte etwas Triumphierendes. Sämu sagte Himmelsterne noch einmal und watete der Leiche nach. Moses Melker dachte plötzlich an den alten Mann, den er im Kurhaus angesprochen hatte. Er ging in die Villa, zog sich aus und kroch zu Cäcilie ins Bett. Sie hatte dieses nur einmal verlassen, seit er von Ägypten zurückgekommen war. Zur Trauung. Im Brautkleid ihrer Schwester Ottilie. Dann legte sie sich wieder ins Bett, rauchte Zigarren, aß Pralinen und las. Von Kriminalromanen war sie zu Science-fiction übergegangen. Sie war so unförmig geworden, daß er fast keinen Platz mehr im Ehebett hatte. Sie trug immer noch seidene Nachthemden. Moses Melker wußte, daß sie schon alles wußte. Er lag neben ihr und wartete auf die Polizei.
    Die Polizei kam nicht. Auch am nächsten Tag und am übernächsten nicht. Überhaupt nicht. Nach einer Woche gingen Cäcilie die Pralinen aus. Die Post hatte sie nicht rechtzeitig von Bern gebracht. Moses Melker mußte aus dem Bett und ins Dorf hinunter. Er kaufte in der Konfiserie Bigler zwei Kilo Pralinen und bemerkte, es sei still im Dorf. Gar nicht, Herr Missionar, sagte Frau Bigler und erzählte, Egglers Knecht sei vor einer Woche verhaftet worden. Sämu habe die Tat gestanden, Lisi Blatter habe zu ihm gesagt, er werde sie nie kriegen, und da habe er sie gekriegt und erwürgt und in die Grien geworfen.
    Darauf sei Sämu, als ihn der Dorfpolizist nach Bern ins Untersuchungsgefängnis habe bringen wollen, auf der Station unter die Bern–Luzern-Bahn gesprungen und sofort tot gewesen. Der Lappi von einem Dorfpolizist habe ihm keine Handschellen angelegt, weil Sämu so gutmütig gewesen sei 23
    und alles gestanden habe. Zum Glück, sonst läge der Lappi auch unter dem Zug. Melker kaufte noch einmal zwei Kilo Pralinen, ging dann in den ›Bären‹ und aß eine Bernerplatte. Er wußte nun, warum er reich geworden war. Nur die Gnade des
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