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Durcheinandertal

Durcheinandertal

Titel: Durcheinandertal
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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erkannte. Auch war das Gesicht nicht uralt, sondern von einer alterslosen Schönheit: Es war die Ehrendame, von der er sich vor dem Hotel verabschiedet hatte, und alle Ehrendamen waren diese Ehrendame gewesen. Sie sei Uriel, sagte sie und gab Melker eine Taschenuhr. Von ihrem Kunden, fügte sie bei. Melker betrachtete die Uhr. Sie hatte einen Zeiger und einundsechzig Ziffern. Der Zeiger wies auf etwas über achtundfünfzig.
    »Eine Uhr für dich, Moses«, sagte sie.
    Melker wurde nachdenklich. »Ich bin etwas über achtundfünfzig«, sagte er.
    »Siehst du«, lachte sie. »Deine Uhr.«
    Moses Melker meinte, wenn er schon so eine merkwürdige Uhr bekomme, möchte er doch wissen, wer denn ihr Kunde sei, der ihm die Uhr schenke. Sie habe nur einen Kunden, antwortete sie, den Flugzeugbesitzer. Bald bestelle er bei ihr 26
    Uhren mit hundert Stunden, die Stunden zu hundert Minuten, die Minuten zu hundert Sekunden, dann wieder Uhren mit nur fünfzehn Stunden, wobei jede Stunde dreihundert Minuten und jede Minute fünfundvierzig Sekunden dauern müsse, aber auch die Sekunden seien nicht gleich, einige Sekunden seien 3/4
    Sekunden, andere 7 Minuten lang, und einmal habe sie eine Uhr konstruiert, da habe ein Tag tausend Jahre gedauert, ob ihr Kunde überhaupt eine normale Uhr besitze, wisse sie nicht, aber das sei nebensächlich, Kunde sei Kunde, und es sei ihr einziger. Wieder war es Melker, als säße ein Mann vor ihm, mit jugendlichem Körper und einem uralten Gesicht, und als ihn die Ehrendame frühmorgens zum Flugzeug brachte, hatte er den Vorfall vergessen und auch die Uhr, die irgendwo in seinem Gepäck tickte. Nur kam ihm die Ehrendame irgendwie bekannt vor.
    Bei Krähenbühl war alles schiefgelaufen. Schon das Grandhotel in Habkern ging pleite, aber das war nichts gegen die Katastrophe, die sich in der Karibik abspielte. Ein Landsmann, der da unten baute, hatte ihm das Hundertbungalowhotel auf einer der Jungfern-Inseln aufgeschwatzt, man suchte einen Direktor, wobei er nie erfuhr, wer da einen Direktor suchte, es blieb ihm nichts anderes übrig, das ›Sancho Pansa‹ in Jamaika war auch pleite gegangen, ganz zu schweigen vom ›General Sutter‹ in San Francisco. So blieb er denn in der Karibik sitzen wie in einer Mausefalle. Die versprochenen Amerikaner blieben aus, wer wollte schon auf diese Insel, wo die Schwarzen immer aufsässiger wurden, seit der letzten Reisegruppe hatte sich niemand mehr gemeldet. Es war wahrscheinlich Pech gewesen, daß dem Bankdirektor aus Miami eine Kokosnuß auf den Kopf krachte, als er am Swimmingpool unter einer Kokospalme Siesta hielt, der 27
    Bursche, der auf die Palme geklettert war, hatte sie zwar mit einer Machete abgehauen, aber konnte unmöglich gezielt haben. Trotzdem erschien Krähenbühl in Miami bei der Beerdigung, aber die Witwe weigerte sich, in Gegenwart der wichtigsten Bankiers der Vereinigten Staaten sein Beileid entgegenzunehmen, und seitdem blieben die Bungalows leer, nur die großen Kröten blieben, die nachts um die niedrigen Lampen vor den Türen hockten, um jede Lampe etwa zehn, das Licht anbetend. Dann meldete sich aus Manhattan der Besitzer an. Doch stellte er Bedingungen. In einem Bungalow mußte ein Kamin eingebaut werden. Er kam nachts mit Gefolge. Die Kerle, die er mitgebracht hatte, planschten im Swimmingpool, in den sie die Kröten warfen. Endlich wurde er vorgelassen.
    Am prasselnden Kamin saß, durch den Rauch, der den Bungalow erfüllte, kaum erkennbar, ein Mann, schräge Augen, starke Backenknochen, das Gesicht völlig verrußt, pechschwarze Haarsträhnen über der Glatze, in einem verrußten, wohl einst weißen Bademantel, auf dem seine Hände schwarze Abdrücke hinterlassen hatten. Krähenbühl bekam ein Papier zu lesen. Darin gestand der Bursche, der auf die Palme geklettert war, den Bankier im Auftrag Krähenbühls getötet zu haben. Dann wies der Verrußte auf einen Tisch neben dem rußbeschlagenen Fenster, auf dem sich kleine weiße Säcke häuften, auch sie rußbedeckt. Andere lagen am Boden herum. »Kokain«, sagte der Verrußte, »in deinem Bungalow gefunden.« Er sei unschuldig, sagte Krähenbühl. Das wisse er, sagte der andere, kaum mehr im Rauch zu erkennen, aber seine Unschuld sei nicht zu beweisen, der Bursche gestehe, was er wolle, und wenn er widerrufe, sei er um einen Kopf kürzer.
    Pech, Krähenbühl habe immer Pech. Ein Leben lang. Der Verrußte schwieg, und Krähenbühl wußte, daß er verloren war, und nahm den Vorschlag
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