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Der blaue Mond

Der blaue Mond

Titel: Der blaue Mond
Autoren: Alyson Noël
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EINS
    Mach die Augen zu und stell es dir vor. Siehst du's vor dir?«
    Ich nicke mit geschlossenen Augen.
    »Stell sie dir genau hier vor, vor dir. Sieh es vor dir, die Form, die Beschaffenheit, die Farbe - hast du's?«
    Ich lächele und halte das Bild in meinem Kopf fest.
    »Gut. Und jetzt streck die Hand aus und berühre sie. Ertaste sie mit den Fingerspitzen, lass ihr Gewicht in deinen Handflächen ruhen, und dann bring alle deine Sinne zum Tragen - Sehen, Tasten, Riechen, Schmecken -, kannst du sie schmecken?«
    Ich beiße mir auf die Lippe und unterdrücke ein Kichern.
    »Hervorragend. Und jetzt verbinde das alles mit Fühlen. Glaub daran, dass das, was du dir vorstellst, genau vor dir existiert. Fühle es, sieh es, berühre es, schmecke es, akzeptiere es, manifestiere es!«, sagt er.
    Also tue ich es. Ich tue all das. Und als er aufstöhnt, öffne ich die Augen, um es mir anzusehen.
    »Ever.« Er schüttelt den Kopf. »Du solltest doch an eine Orange denken. Das hier ist was anderes.«
    »Stimmt, er sieht nicht so saftig aus.« Ich lächele meine beiden Damens an - das Ebenbild, das ich vor mir manifestiert habe und die Version aus Fleisch und Blut neben mir. Beide sind gleich groß, dunkelhaarig und sehen so umwerfend gut aus, dass sie gar nicht wirklich zu sein scheinen.
    »Was soll ich nur mit dir machen?«, fragt der echte Damen und versucht, eine verdrossene Miene aufzusetzen, was jedoch völlig misslingt. Seine Augen verraten ihn immer; in ihnen ist nichts anderes als Liebe zu lesen.
    »Hm ...« Mein Blick wandert zwischen meinen beiden Freunden hin und her - einer echt, einer herbeigezaubert. »Ich denke, du könntest mich ganz einfach küssen. Oder wenn du zu viel zu tun hast, dann könnte ich auch ihn hier fragen, ob er das übernimmt. Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hätte.« Mit einer Geste zeige ich auf den manifestierten Damen und lache, als der lächelt und mir zuzwinkert, obwohl seine Umrisse verblassen und er bald verschwunden sein wird.
    Der echte Damen jedoch lacht nicht. Er schüttelt nur abermals den Kopf und sagt: »Ever, bitte. Du musst das ernst nehmen. Es gibt so vieles, was ich dir beibringen muss.«
    »Warum hast du's denn so eilig?« Achselzuckend schüttele ich mein Kissen auf und klopfe auf den freien Platz neben mir; ich hoffe, dass er zu mir kommt. »Ich dachte, wir haben nur Zeit und sonst gar nichts.« Ich lächele erneut. Und als er mich ansieht, wird mein ganzer Körper warm, und der Atem stockt in meiner Kehle. Und unwillkürlich frage ich mich, ob ich mich wohl jemals an seine verblüffende Schönheit gewöhnen werde - an seine glatte, bräunliche Haut, das braune, glänzende Haar, das vollendet geformte Gesicht und den schlanken, muskulösen Körper -, das vollkommene dunkle Yang zu meinem blassen, blonden Yin. »Ich glaube, du wirst feststellen, dass ich eine sehr eifrige Schülerin bin«, füge ich hinzu, und mein Blick begegnet seinen Augen - zwei Brunnen von unergründlicher Tiefe.
    »Du bist wirklich unersättlich«, flüstert er und kommt auf mich zu, ebenso sehr von mir angezogen wie ich von ihm.
    »Ich versuche nur, verlorene Zeit gutzumachen«, murmele ich, immer so versessen auf diese Augenblicke, auf die Gelegenheiten, wenn wir allein sind und ich ihn nicht mit jemand anderem teilen muss. Nicht einmal das Wissen, dass die gesamte Ewigkeit vor uns liegt, macht mich weniger gierig.
    Er beugt sich vor, um mich zu küssen, und hat unseren Unterricht offensichtlich vergessen. Sämtliche Gedanken ans Manifestieren, ans Aus-der-Ferne-Sehen, an Telepathie - all dieser paranormale Kram wird von etwas sehr viel Unmittelbarerem verdrängt, als er mich rücklings in die Kissen drückt und meinen Körper mit dem seinen bedeckt; unsere Leiber verschlingen sich umeinander wie zwei Ranken, die die Wärme der Sonne genießen.
    Seine Finger schlüpfen unter mein Top und gleiten dann über meinen Bauch bis zum Rand meines BHs, während ich die Augen schließe und flüstere: »Ich liebe dich.« Worte, die ich früher für mich behalten habe. Doch nachdem ich sie zum ersten Mal ausgesprochen habe, habe ich kaum noch etwas anderes gesagt.
    Ich höre sein leises, gedämpftes Aufstöhnen, als er den Verschluss meines BHs öffnet, so mühelos, kein Herumfummeln, keinerlei Unbeholfenheit.
    Jede Bewegung, die er macht, ist so anmutig, so vollkommen, so ...
    Vielleicht zu vollkommen.
    »Was ist denn los?«, fragt er, als ich ihn wegschiebe. Sein Atem geht in kurzen, flachen Stößen,
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