Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Durcheinandertal

Durcheinandertal

Titel: Durcheinandertal
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
Vom Netzwerk:
Großen Alten (mit Bart) vermochte ihn zu retten. Sämus Geständnis war ein Zeichen. Er lebte in der Gnade, Sünde hin oder her, auch wenn es eine Todsünde war. Er aß die Bernerplatte auf. Dann kehrte Moses Melker in die Villa zurück und gab Cäcilie die vier Kilo Pralinen. Morgen kämen die Pralinen von Bern sicher. Sie nahm eine Praline, sagte, die von Bern seien besser, schlug eine neue Science-fiction auf, ›In der Zeitblase‹, und meinte, Melker hätte ihr ruhig die Pralinen vor seiner Bernerplatte bringen können.
    Wanzenried war Schweizer Meister im Schwergewicht bei den Amateuren gewesen, doch erübrigt es sich, auf sein Schicksal mehr als nötig einzugehen. Schon sein erster Versuch, als Profi aufzutreten, endete mit einem K. O. in der ersten Runde, aus dem er erst nach einem Monat aus dem Koma erwachte. Möglich, daß dadurch seine Intelligenz eine Verminderung erlitt, aber gemessen an ihrem vorkomatösen Zustand, war das kaum feststellbar. Sein Versuch als Hinausschmeißer scheiterte am Gefühl, jene, die er hinausschmeißen sollte, könnten zurückschlagen, und so schmiß er sie nicht hinaus. Auch sein dritter Versuch, sich im Leben zu installieren, mißglückte. Zwar ging es ein Jahr anständig, aber dann wurden gleich drei seiner Nutten abgeworben. Innert zwei Wochen. Die Polizei war eklig, und niemand wollte mehr mit ihm arbeiten. Wanzenried versuchte es mit unauffälligerer Kriminalität, stellte eine Bande von Gelegenheitskriminellen zusammen, Profis konnte er sich nicht leisten. Doch deren Bankeinbrüche und Überfälle wurden ihm 24
    zugeschoben, es konnte ihm zwar nichts bewiesen werden, aber der Verdacht blieb, während die Gelegenheitskriminellen weniger verdienten, als sie von der Sozialfürsorge bekamen, sie wurden ehrlich. Die Polizei wurde ekliger. Zürich war nicht sein Pflaster. Konsterniert saß er den Rechtsanwälten Raphael, Raphael und Raphael gegenüber. Die drei sahen wie eineiige Drillinge aus. Etwa dreißig. Leicht verfettet, höhensonnenverbrannt, offene Kragen, goldene Kettchen um den Hals, aber die Beweise, die sie ihm vorlegten, daß er noch ungeklärte Bankeinbrüche und Überfälle begangen habe, waren nicht zu widerlegen, obgleich er sie nicht verübt hatte. Jemand hatte ihn hereingelegt. Es sei ihre Pflicht, ihn anzuzeigen, sagte der erste. Zwölf Jahre Zuchthaus, der zweite, es gebe einen Ausweg, der dritte. Einen soliden Beruf, präzisierte der erste.
    Nachtportier, der zweite. In einem Kurhaus, der dritte.
    Wanzenried nickte. Jeder der drei zündete sich eine lange, dicke Havanna an. Von jetzt an Maul halten, sagte der erste. Zu jedermann, meinte der zweite und stieß einen Rauchkringel in die Luft. Sonst, ergänzte der dritte und blies sein Streichholz aus. Wanzenried nickte. Daß er sich vorher ins Tessin in eine Privatklinik begeben mußte, leuchtete ihm ein. Trotz des Komas. Seine Visage war der Polizei zu bekannt.
    Moses Melker flog auf eine Einladung mit unleserlicher Unterschrift und beigefügtem Scheck einer New Yorker Privatbank mit der Swissair hinüber und hielt vor einer exquisiten Gesellschaft, die der Hauptsache nach aus Witwen bestand, einen Vortrag, eine Predigt besser, über die bittere Gnade der Reichen und das glückliche Elend der Armen. Der Erfolg war außerordentlich. Nach dem Vortrag gab man ihm zu Ehren ein opulentes Dinner, und er plauderte charmant mit den Witwen. Darauf flog er kreuz und quer über den Kontinent, 25
    landete bald in dieser Stadt, bald in jener, bald in diesem Nest, bald in jenem. Er wußte immer noch nicht, wer ihn eingeladen hatte. Das Flugzeug hatte keine Fenster. Ein Steward war nie zu sehen, aber ein Glas Champagner stand bereit, wenn Melker das Flugzeug betrat. Er trank es stehend aus, setzte sich, schnallte sich an und schlief ein. Er wachte auf, eine Ehrendame empfing ihn und geleitete ihn aus dem Flugzeug zum Vortrag, darauf ins Hotel und am nächsten Morgen zum Flugzeug. Er sah viele Ehrendamen. Er konnte sich nie erinnern, wie sie ausgesehen hatten. In einem Hotel in Santa Monica (wenn es Santa Monica war) zog er, müde vom Dinner, auf dem Bett sitzend die Schuhe aus. Als er aufblickte, saß ihm ein weißgekleideter Mann gegenüber, dessen pechschwarzes Haar im Gegensatz zu seinem uralten Gesicht stand; alles befand sich im Gegensatz zu diesem Gesicht, die jünglinghaften Hände, die Geschmeidigkeit seines schlanken Körpers – ihres schlanken Körpers, denn im Ledersofa saß eine Frau, wie Melker plötzlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher