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Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord

Titel: Die Legenden des Raben 05 - Drachenlord
Autoren: James Barclay
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Erstes Kapitel
    »Noch einmal!« Tessaya ließ den Arm sinken. »Noch einmal!«
    Abermals griffen die Wesmen die Mauern von Xetesk an. Ihre Stammesbanner flatterten in der Brise, und ihre Stimmen mischten sich zu einem einzigen Brüllen. Die Krieger brachten die Sturmleitern in Position und kletterten die groben Sprossen empor. Gleichzeitig versuchten die unter ihnen postierten Bogenschützen, die Verteidiger von den Wällen zu vertreiben, was angesichts der Entfernung jedoch keine leichte Aufgabe war.
    In den tiefen Schatten der Nacht setzten die Kämpfer der Stämme unter den Mauern von Xetesk immer neue Leitern an, auf einer Breite von vierhundert Schritt. Die besten Leitern waren grob behauen und mit Seilen verzurrt, die schlechtesten waren kaum mehr als die geschälten Stämme der höchsten Bäume, die sie hatten finden können. Bei früheren Angriffen waren einige Leitern nicht lang genug gewesen.
    Jetzt sah Tessaya, wie das Licht der Fackeln auf den Wällen die Leitern erfasste, ehe sie mit einem Knall gegen die
Mauern prallten, damit die Krieger, immer zwei auf einmal, hinaufsteigen konnten.
    Dieses Mal stand der Feind mit dem Rücken zur Wand. Dieses Mal würden die Wesmen die Verteidigung durchbrechen. Daran gab es keinen Zweifel. Bei Tageslicht waren viele gestorben. Sprüche und Pfeile hatten Holz und Fleisch zerfetzt. Brennende Krieger waren kreischend zu Boden gesunken. Verkohlte oder vereiste Leitern waren geborsten und binnen weniger Herzschläge zusammengebrochen.
    Dennoch hatten die Stämme nicht aufgegeben. Angetrieben von ihren Lords, die den Sieg zum Greifen nahe wähnten, hatten sie den Angriff fortgesetzt. Hunderte suchten im Hinterland nach Bäumen, aus denen sie neue Leitern bauen konnten, und Hunderte starben an den Mauern, während sie taten, was getan werden musste. Sie laugten die Sprüchewirker aus.
    Tessaya sah Männer auf den Mauern laufen und die Verteidigung organisieren. Unter ihnen, die Schilde über die Köpfe haltend, stießen seine Krieger vor. Es war der vierte Angriff binnen eines Tages. Die Nacht war gerade zur Hälfte vorbei, und die Wucht der Sprüche ließ nach.
    Planlos erfasste hin und wieder ein Spruch die Spitze einer Leiter und die kletternden Männer, doch das war schon alles. Tessaya hatte diesen Moment kommen sehen und den größten Teil seiner Streitmacht zurückgehalten. Xetesk verfügte nicht mehr über die magische Kraft, um sie aufzuhalten. Jetzt kam es darauf an, wer mit Schwert, Axt und Speer der Stärkere war. Das war ein Kampf, den die Wesmen nicht verlieren konnten.
    Er sah noch einen Augenblick zu. Immer noch prasselten Pfeile auf die Krieger nieder, die die Leitern emporstiegen. Immer noch fielen seine Leute zu Dutzenden. Tief
atmete er die Nachtluft ein. Die Gerüche von Asche und Furcht mischten sich mit dem Duft von frischem Gras, den die Brise herantrug. Er hörte die Stimmen der Wesmen, ihre Stammeslieder, zwischen den Mauern von Xetesk hallen. Von Kraft und Sieg erzählten die Hymnen und schwollen mit jedem Herzschlag an.
    Er wandte sich an Lord Riasu. Die kleinen Augen des Mannes funkelten in der Dunkelheit, und sein kantiges Gesicht war vor Erregung rot angelaufen.
    »Ihr spürt es auch.«
    »Ich spüre es, Lord Tessaya«, bestätigte Riasu. »Wir haben das Ziel fast erreicht.«
    »Und was wünscht Ihr jetzt?«
    Riasu nickte zu den Mauern hin. Die Wesmen stiegen auf den Leitern höher und höher, die Pfeile konnten sie nicht mehr abhalten, und Sprüche schlugen kaum noch ein. Ein dunkelblauer Blitz auf der linken Seite war eine letzte Erinnerung an die schwindende Bedrohung.
    »Meine Männer sind auf den Leitern«, sagte er. »Ich will mich ihnen anschließen. Führe uns auf die Mauern.«
    Tessaya versetzte Riasu einen festen Schlag gegen die Schulter. »Diesen Wunsch teile ich.«
    Er sah sich rasch um. Sechs weitere Stammesfürsten standen bei ihnen. Ihre Krieger, tausend oder mehr, waren bereit, jederzeit anzugreifen. Unterdessen stärkten sie denjenigen, die schon vor den Mauern in Kämpfe verwickelt waren, mit aufmunternden Rufen den Rücken. Hinter ihnen brannten die Lagerfeuer, und die Wächter der Paleon-Stämme beschützten die Schamanen, die mit ihren Gebeten Anleitung und Kraft von den Göttern erflehten. Ihre Gebete waren ganz gewiss erhört worden.
    Die Lords standen in der Nähe in einer Gruppe beisammen, alle wollten das Gleiche, doch sie warteten noch
auf Tessayas Kommando. Der Ruhm, der Erste zu sein, der die Mauern erklomm,
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