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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort
Autoren: Jostein Gaarder
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kein Wunder, wir betrachten ja alles von außen. In der ganzen Schöpfung sind nur die Kinder genauso neugierig wie wir. Aber die kommen ja in gewisser Hinsicht auch von außen.«
    Während ihrer Krankheit hatte Cecilie sich oft überlegt: Die Erwachsenen mußten immer erst nachdenken, ehe sie etwas Lustiges unternahmen. Und nichts versetzte sie so richtig in Staunen. »So ist es eben, Cecilie«, sagten sie bloß.
    »Aber Gott hat die Erwachsenen doch sicher auch ein bißchen lieb?« fragte sie vorsichtig.
    »Sicher. Obwohl sie allesamt seit dem Sündenfall nicht mehr ganz so das Wahre sind.«
    »Nicht mehr ganz so das Wahre?«
    »Sie haben sich die Welt zur Gewohnheit werden lassen. Den Engeln im Himmel geht das nicht so, obwohl wir schon seit aller Ewigkeit da sind. Wir staunen noch immer über das, was Gott erschaffen hat. Er selbst ist übrigens auch ziemlich verblüfft. Deshalb freut er sich über neugierige kleine Kinder mehr als über das weltgewandte Auftreten der Erwachsenen.«
    Cecilie überlegte und überlegte, sie hatte das Gefühl, ihr Kopf sprühe Funken. Während der Krankheit war ihr Kopf schon öfter zum Rummelplatz für schlaue Gedanken geworden, wobei sie nicht mal eine Fahrkarte lösen mußte, um mit der Berg- und Tal-Bahn zu fahren.
    »Die Erwachsenen haben sich in der Regel sehr an die Welt gewöhnt, weshalb sie die ganze Schöpfung als gegeben hinnehmen«, erklärte Ariel. »Das ist eigentlich ein komischer Gedanke, schließlich sind sie ja nur zu einem kurzen Besuch hier.«
    »Stimmt!«
    »Wir sprechen über die Welt, Cecilie! Als ob die Welt keine Sensation wäre! Vielleicht sollte der Himmel in regelmäßigen Abständen bei den großen Zeitungen Anzeigen aufgeben: >Wichtige Mitteilung an alle Bürgerinnen und Bürger der Welt! Es ist nicht nur ein Gerücht: DIE WELT ISTHIER UND JETZT!<«
    Cecilie wurde richtig schwindlig von dem, was der Engel Ariel erzählte. Ihr wurde auch schwindlig vom Zusehen, wie er mit seinen nackten Beinen baumelte und strampelte.
    »Wäre es nicht besser gewesen, wenn Gott die miese Schlange aus dem Paradies vertrieben hätte?« fragte sie. »Dann hätten doch Adam und Eva für alle Ewigkeit in dem großen Garten spielen können.«
    Der Engel Ariel legte den Kopf schräg und sagte:
    »So einfach war das aber nicht. Weil ihr aus Fleisch und Blut seid, könnt ihr nicht ewig leben wie die Engel im Himmel. Aber Gott brachte es nicht übers Herz, die Schöpfung so einzurichten, daß Kinder einfach sterben müssen. Es ist doch immer noch besser, sie zuerst erwachsen werden zu lassen.«
    »Warum das denn?«
    »Weil es viel leichter ist, sich von der Welt zu verabschieden, wenn man ein halbes Dutzend Enkelkinder hat und sich schwindlig und dösig fühlt und außerdem völlig vollgestopft ist mit Tagen.«
    Cecilie war von dieser Antwort nicht sehr beeindruckt.
    »Manchmal sterben auch Kinder«, widersprach sie. »Ist das nicht totaler Schwachsinn?«
    »>Ist das nicht totaler Schwachsinn?<« wiederholte der Engel Ariel. »>Ist das nicht totaler Schwachsinn?<«
    Als er danach schwieg, ergriff wieder Cecilie das Wort.
    »Bist du ganz sicher, daß Adam und Eva Kinder waren?«
    »Ganz sicher, ja. Ist dir noch nie der Gedanke gekommen, daß Kinder die größte Ähnlichkeit mit den Engeln im Himmel haben? Oder hast du je einen Engel mit grauen Haaren, gebeugtem Rücken und tiefen Falten im Gesicht gesehen?«
    Etwas an dieser Frage reizte Cecilie zum Widerspruch.
    »Ich finde aber Oma kein bißchen häßlich, auch wenn sie alt ist!« »>Ich finde aber Oma kein bißchen häßlich««, wiederholte Ariel. »Das behauptet ja auch niemand. Aber in ihrem alten Körper wohnt eine kleine Eva, die einmal ganz neu auf der Welt war. Das andere ist nur im Lauf der Jahre außen angewachsen.«
    Cecilie seufzte tief.
    »Wenn ich mal meine Meinung sagen darf, finde ich, daß die Schöpfung ziemlich idiotisch eingerichtet ist.«
    »Warum denn?«
    »Ich habe nicht die geringste Lust, erwachsen zu werden. Und sterben will ich auch nicht. Nie im Leben!«
    Ein Schatten huschte über das Gesicht des Engels.
    »Versuch, nicht den Kontakt zu dem kleinen Kind in dir zu verlieren. Deine Großmutter hat das auch nicht getan. Setzt sie nicht sogar manchmal eine Clownsmaske auf, um dich zum Lächeln zu bringen?«
    »O ja!«
     

I m nächsten Moment stand der Engel Ariel auf dem Boden. Cecilie hatte ihn nicht vom Schreibtisch springen sehen, aber plötzlich stand er vor dem Bücherregal und sah sich die
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