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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort
Autoren: Jostein Gaarder
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Dingen, über die wir im Himmel auch immer wieder diskutieren. Aber das ist nicht dasselbe.«
    »Wieso nicht?«
    »Weil wir nicht über uns selbst diskutieren. Es ist bestimmt noch viel seltsamer, sich darüber zu wundern, was man selbst ist. Ich glaube nicht, daß es irgendein Stein seltsam findet, ein Stein zu sein. Und sicher kommt es auch keiner Schildkröte seltsam vor, daß sie eine Schildkröte ist. Aber manche Menschen finden es nun mal seltsam, ein Mensch zu sein. Ich kann ihnen da nur zustimmen. Ich habe mich nie mit Steinen oder Schildkröten auf gleicher Wellenlänge gefühlt.«
    »Aber findest du es nicht seltsam, ein Engel zu sein?«
    Er antwortete erst nach einer Weile.
    »Das ist etwas ganz anderes, ich bin doch schon seit aller Ewigkeit ein Engel. Du aber bist erst seit ganz kurzer Zeit Cecilie Skotbu.«
    »Stimmt! Und ich finde es noch immer sehr seltsam, ich zu sein.«
    »Die ganze Schöpfung ist natürlich ein Rätsel«, stellte Ariel fest. »Aber am seltsamsten ist trotzdem, daß es irgendwo am Rand des großen Rätsels Geschöpfe gibt, die sich selbst als Rätsel erleben.«
    »Warum ist das seltsam?«
    »Es ist ungefähr so, als ob ein Brunnen in seiner eigenen erstaunlichen Tiefe untertauchen könnte.«
    »Das ist mir schon oft passiert«, versicherte Cecilie.
    »Was?«
    »Daß ich vor dem Spiegel gestanden und mir selber tief in die Augen geschaut habe. Und dann habe ich gedacht, ich bin ein so tiefer Brunnen, daß ich nicht bis zum tiefsten Grund blicken kann.«
    »Wahrscheinlich kommt das davon, daß du dich die ganze Zeit über veränderst. Wenn man sich dauernd ein bißchen ändert, ist es kein Wunder, daß man sich auch ein bißchen wundert. Angenommen, eine Larve könnte denken, würde sie bestimmt ganz schön staunen, wenn sie eines Tages begriffe, daß sie plötzlich ein Schmetterling ist. Das passiert ja fast über Nacht. Aber die Engel im Himmel wundern sich ebenso darüber, daß ein kleines Mädchen plötzlich eine erwachsene Frau geworden ist. Für uns spielt der kleine Zeitraum keine große Rolle.«
    »Warum nicht?«
    »Engel haben sehr viel Zeit, Cecilie, und zwischen einem kleinen Mädchen und einer erwachsenen Frau besteht ein großer Unterschied.«
    »Sprecht ihr wirklich im Himmel über solche Fragen?«
    Ariel nickte verlegen. Er schaute sich im Zimmer um, dann sagte er:
    »Aber wir versuchen, es nicht zu tun, wenn Gott in der Nähe ist. Er reagiert nämlich ziemlich empfindlich auf Kritik.«
    »Hätte ich nie gedacht!«
    »Ihr denkt euch so vieles, aber ihr könnt nicht erwarten, denselben Überblick zu haben wie die Engel im Himmel.«
    »Ich wollte nur sagen, ich hätte gedacht, Gott sei über jegliche Kritik erhaben.«
    »Du bist ihm doch nie von Angesicht zu Angesicht begegnet. Aber wenn du selbst eine ganze Welt erschaffen hättest, würdest du sicher auch ein bißchen empfindlich auf Kritik reagieren. Wir reden ja hier nicht von Kleinigkeiten.
    Obwohl Gott auf alles blickte, was er geschaffen hatte, und sah, daß es gut war, hätte manches trotzdem ein bißchen anders gemacht werden können. Als er alles erschaffen hatte, war er jedoch so erschöpft, daß er den ganzen siebten Tag ruhen mußte. Er kippte einfach um, verstehst du. Ich glaube, es wird noch sehr lange dauern, ehe er einen neuen Versuch macht.«
    Cecilie war mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Sie sagte:
    »Stell dir vor, es gäbe nur ein Geschlecht. Oder vielleicht auch drei, das wäre vielleicht das allerbeste.«
    »Findest du nicht, daß Mann und Frau auch so schon genug Unfug anstellen?«
    »Manches von dem Unfug liegt nur daran, daß es bloß zwei Geschlechter gibt. Vor allem dann, wenn eine Familie viele Kinder hat. Du scheinst dich ja mit dem Leben auf der Erde nicht sonderlich auszukennen.«
    Ariel zuckte mit den Schultern.
    »Ich möchte gern mehr lernen.«
    »Wenn drei Geschlechter notwendig wären, damit ein Kind geboren wird«, beharrte Cecilie, »würden nicht so viele Kinder auf die Welt kommen, und das wäre schon einmal eine Hilfe gegen die Überbevölkerung ...«
    »Moment mal«, warf der Engel Ariel ein. »Jetzt komme ich nicht mehr mit.«
    Cecilie seufzte resigniert.
    »Ich dachte, Engel kriegen alles mit.«
    »Nicht, wenn ihr über Geburten und so was redet. Dann sind wir so weit weg vom Himmel, wie das für Engel überhaupt möglich ist.«
    »Ich meine nur, daß mehr dazu gehört, bis drei Menschen sich so sehr mögen, daß sie zusammen Kinder haben wollen, mehr als bei zwei
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