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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort
Autoren: Jostein Gaarder
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erlosch der Stern wieder.
    »Mach das noch mal!« bat sie.
    Er tat es. Ariel brauchte den alten Weihnachtsstern nur anzutippen, schon leuchtete er zu Cecilie und Ariel, der Scheunenwand und den Schneewehen hoch.
    Ariel winkte ihr. Sie wußte, daß sie ins Haus und ins Schlafzimmer mußten, ehe irgendwer drinnen erwachte.
    Auch in dieser Nacht half er ihr ins Bett. Er lehnte den Schlitten genau an der Stelle an die Wand, wo er gestanden hatte. Dann pustete er Schnee und Matsch aus dem Zimmer. Cecilie schlief ein, sobald sie im Bett lag.
    Als sie aufwachte, saßen ihr Vater und Großmutter am Bett.
    »Nacht?« fragte sie.
    Papa nickte. Er nahm ihre Hände, und Großmutter feuchtete ihr die Lippen an.
    »Ich weiß, was aus dem alten Weihnachtsstern geworden ist«, flüsterte Cecilie.
    Großmutter und der Vater tauschten einen Blick.
    »Aus dem Weihnachtsstern?« fragte ihr Vater.
    Cecilie nickte.
    »Er liegt hinter der Scheune. Wir haben ihn bei der Christbaumplünderung vergessen.«
    Ehe Cecilie wieder einschlief, blickte sie zu Großmutter hoch und sagte so deutlich sie konnte einige Worte. Sie sagte sie auf wie ein Gedicht, das sie irgendwann einmal auswendig gelernt hatte.
    »Nicht die geliebten Kinder haben viele Namen. Sondern die Findelkinder. Die, die auf einer Treppe gefunden werden. Die, bei denen niemand so recht weiß, woher sie kommen. Die, die im leeren Raum schweben.«

C ecilie fuhr aus dem Schlaf und riß die Augen auf. Sie drehte sich zu ihrem Vater um, der auf dem Stuhl vor dem Bett saß. Er hielt den alten Christbaumstern in der Hand.
    Sie wußte nicht recht, warum, aber es machte sie unendlich froh, daß die anderen ihr geglaubt hatten. Sie waren wirklich hinter die Scheune gegangen und hatten den Stern an der Stelle gefunden, wo Cecilie ihn nachts zusammen mit dem Engel Ariel entdeckt hatte.
    »Ihr habt ihn da gefunden, wo ich gesagt habe«, murmelte sie. Es war nicht leicht, die Worte über die Lippen zu bringen.
    Ihr Vater legte den Stern auf die Bettdecke.
    »Woher hast du gewußt, daß er noch am Baum saß?« flüsterte er.
    Sie versuchte ein Lächeln.
    »Ein Engel Gottes hat es mir erzählt.«
    »Wir haben ihn jedenfalls genau an der Stelle gefunden, wo du gesagt hast.«
    »Aber ihr könnt ihn nicht zum Leuchten bringen. Das schafft nur Gott.«
    Jetzt standen auch ihre Mutter und Großmutter im Zimmer. Und dann kam auch noch Großvater hinzu. Sie hatten bestimmt alle draußen auf dem Flur gestanden, nun kamen sie herbei, als sie hörten, wie Cecilie von dem Engel erzählte, der ihr geholfen hatte.
    Sie blickte zu ihnen hoch. Heute fühlte sie sich so klar im Kopf wie lange nicht mehr. Wenn sie nur nicht so schlapp wäre .
    Vor dem Bett standen zwei Stühle. Ihre Mutter setzte sich auf den freien Stuhl, die Großeltern standen hinter ihr und sahen Cecilie an. Nur Großmutter lächelte.
    »Soll Lasse kommen?« fragte Cecilies Mutter.
    Sie nickte. Großmutter ging Lasse holen. Sie mußte ihn vor sich herschieben, so verlegen war er.
    »Hallo«, sagte er.
    »Hallo, Lasse.«
    Sie blickte auf.
    »Und wie geht’s mit den Jetskiern?«
    »Gut ...«
    Als alle schwiegen, versuchte Cecilie, etwas Lustiges zu sagen.
    »Aber du mußt endlich dein Zimmer aufräumen, du Schussel!«
    Alles lächelte, obwohl es ja eigentlich gar nicht lustig gewesen war. Nur Cecilie konnte doch wissen, daß sie nachts in seinem Zimmer gewesen war.
    »Jetzt schmilzt das Eis auf dem Fluß«, sagte sie.
    Die anderen nickten, und dann schwiegen alle für lange Zeit.
    Die letzten Worte schienen in ihren Ohren widerzuhallen:
    »Jetzt schmilzt das Eis auf dem Fluß. Jetzt schmilzt das Eis.«
    »Daß wir den alten Weihnachtsstern wiedergefunden haben!« sagte Großmutter. »Wir waren alle zusammen hinter der Scheune.«
    Das war ja toll! Alle zusammen waren hinter die Scheune gegangen. Sie hatten genau wie Cecilie und Ariel im Schnee herumgewühlt.
    »Aber den Fieberschmetterling findet ihr nicht«, sagte sie stolz. »Der ist nämlich weggeflogen.«
    Die Mutter stand auf und ging zum Bücherregal. Ob sie den Schmetterling suchen wollte?
    Großmutter hielt sie zurück.
    »Tone!« sagte sie und gab ihr ein Zeichen, sich wieder zu setzen.
    Wieder sagte lange Zeit niemand etwas.
    Cecilie fand es seltsam, daß sie so glasklar im Kopf war und trotzdem nur schlafen wollte.
    »Ich glaube, ich schlafe wieder ein«, flüsterte sie. »Also, macht’s erstmal wieder gut ...«
    Als sie bald darauf erwachte, stand das Fenster offen, niemand saß auf
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