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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort
Autoren: Jostein Gaarder
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ich mir noch nie überlegt.«
    Er nickte nachdrücklich und fügte hinzu:
    »Ob ihr nun in Jessheim oder auf Java wohnt, es soll euch eben kein Zipfel der himmlischen Herrlichkeit verborgen bleiben. Es wäre doch auch schrecklich ungerecht, wenn nur die Hälfte der Menschen auf der Erde die Sonnenstrahlen in ihrem Gesicht spüren dürften, oder wenn die Hälfte der Menschheit nie im Leben auch nur einen Halbmond zu sehen bekäme. Sonne und Mond gehören allen Menschen auf der Welt.«
    »Hat Gott wirklich deshalb den ganzen Kreisel in Bewegung gesetzt?«
    »Genau! Aber nicht allein deshalb ...«
    »Na, sag schon!«
    »Wichtig war auch, daß alle Engel im Himmel den ganzen Erdball sehen können, egal, auf welchem Himmelskörper sie sich gerade aufhalten. Es ist nämlich viel leichter, einen Planeten im Auge zu behalten, der sich dreht und dreht, als einen, der uns nur die eine Wange hinhält.«
    Cecilie fand den Engel Ariel jetzt fast schon ein wenig zu eifrig. Er redete wie ein Wasserfall. Jetzt baumelte er auch noch mit den Beinen.
    »Ich glaube, das habe ich dir schon gesagt, daß wir Röntgenaugen haben«, sagte er. »Aber von unserem Teleblick habe ich dir wohl noch nichts erzählt .«
    »Willst du sagen, ihr könnt die Menschen auf der Erde sehen, selbst wenn ihr weit draußen im Weltraum auf irgendeinem idiotischen Planeten rumhängt?«
    »Genau. Da oben ist ja nie besonders viel los. Aber wenn wir behaglich zurückgelehnt auf unserem idiotischen Planeten sitzen und zum Erdball hinaufblicken, können wir das ganze himmlische Theater verfolgen, egal ob sich die Szene auf Kreta oder in Kl0fta ereignet.«
    »>Das himmlische Theater?<«
    Er nickte.
    »Der Erdball, Cecilie. Das Leben der Menschen auf der Erde ist wie ein endloses Theaterstück. Ihr kommt und geht. Gott schickt seine Menschen aus .«
    Cecilie saß einige Sekunden bewegungslos auf der Bettkante. Dann sagte sie:
    »Also, ich finde, das stinkt.«
    Sie versetzte dem Stuhl einen kräftigen Tritt.
    »Wenn das stimmte, wäre alles ungeheuer ungerecht.«
    Ariel sah ein wenig betroffen aus, aber immerhin baumelte er weiter mit den Beinen.
    »Dann reden wir eben nicht mehr darüber«, sagte er.
    »Ich glaube, ich will überhaupt nicht mehr reden.«
    Sofort hörte Ariel auf, mit den Beinen zu baumeln.
    »Du bist verbittert, Cecilie.«
    »Na und?«
    »Deshalb bin ich ja hier.«
    Sie starrte den Fußboden an.
    »Ich verstehe einfach nicht, warum die Welt nicht ein kleines bißchen anders erschaffen werden konnte.«
    »Darüber haben wir doch schon gesprochen. Das ist ja gerade das Spannende: Du weißt nicht genau, was herauskommt. Dir fehlt die Allmacht über deine Zeichnung.«
    Cecilie sagte nichts darauf. Erst nach einer ganzen Weile meinte sie:
    »Wenn ich etwas zeichnen müßte und wüßte, das, was ich zeichne, wird nachher lebendig sein, würde ich nicht einen einzigen Strich machen. Ich würde nie wagen, etwas Leben zu geben, das sich nicht gegen alle möglichen eifrigen Buntstifte wehren kann.«
    Der Engel zuckte mit den Schultern.
    »Aber trotzdem würden deine Figuren alles nur stückweise verstehen. Sie würden es nicht von Angesicht zu Angesicht sehen.«
    Sie seufzte tief:
    »Die ganzen Mysterien gehen mir langsam auf die Nerven.«
    »Schade. Das war wirklich nicht meine Absicht.«
    »Irgendein Dussel hat gesagt, es ginge vor allem um Sein oder Nichtsein. Und ich glaube immer mehr, daß er recht hat. Oder sie - aber du hast ja gesagt, daß das mit den Geschlechtern und so in der geistigen Welt nicht wichtig ist ...«
    »>Sein oder Nichtsein««, wiederholte Ariel. »Gut gesagt, denn ein Zwischending gibt es nicht.«
    »Ich meine, daß wir nur dieses eine Mal auf der Erde sind. Und daß wir niemals zurückkehren werden!«
    »Ich weiß, daß du sehr krank bist, Cecilie ...«
    Sie fiel ihm ins Wort:
    »Aber du darfst nicht fragen, was mir fehlt. Das darf niemand, nicht einmal die Engel im Himmel.«
    »Ich wollte nur sagen, daß ich gekommen bin, dich zu trösten.«
    Sie schnaubte:
    »Trösten, du meine Güte!«
    Ariel hob vom Schreibtisch ab und schwebte durchs Zimmer.
    Cecilie sagte:
    »Wenn ich alt werde und am Ende sterbe, werde ich bestimmt wieder ein Kind. Und auf die Weise lebe ich dann im Himmel weiter, genau wie ihr. Wir werden alle so eine Art Odinsraben. Das ist eigentlich gar nicht schlecht ...«
    »Glaubst du das?« fragte Ariel.
    »>Glaubst du das?< - >Glaubst du das?< Du mußt das doch wissen!«
    Er wiegte sich vor dem Bett in der Luft und
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