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Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort

Titel: Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort
Autoren: Jostein Gaarder
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hinzu:
    »Aber der Körper, in dem du wohnst, ist aus Fleisch und Blut, genau wie bei Kühen und Kamelen. Deshalb wachsen Haare auf deinem Körper, vor allem natürlich auf deinem Kopf, aber sie wachsen auch an anderen Stellen, wenn auch zuerst nicht so viele. Dann geht es immer schneller, Cecilie, im Lauf der Zeit werden es immer mehr. Die Natur wächst in immer dickeren Schichten um das kleine Kind herum, das einst zur Welt gekommen ist. Wenn ihr aus der Hand des Schöpfers entlassen werdet, sind eure Körper so glatt und rein wie die der Engel im Himmel. Aber das ist nur äußerlich so, denn der Sündenfall hat schon angefangen. Im Körper machen sich Fleisch und Blut zu schaffen, und sie sorgen dafür, daß ihr nicht ewig lebt.«
    Cecilie biß sich auf die Lippe. Sie sprach nicht gern über Dinge, die mit ihrem Körper zu tun hatten. Und der Gedanke, daß sie langsam erwachsen wurde, gefiel ihr auch nicht.
    »Lasse hatte in seinen ersten zwei Jahren kein einziges Haar auf dem Kopf« sagte sie.
    »Das brauchst du mir nicht zu erzählen.«
    »Dann weißt du vielleicht auch, daß ich im Krankenhaus eine sehr starke Therapie bekommen habe, von der mir alle Haare ausgefallen sind.«
    Er nickte.
    »Da hatten wir noch mehr Ähnlichkeit miteinander.«
    »Eigentlich sollte ich die Therapie noch einmal machen, aber dann haben wir es uns anders überlegt .«
    »Auch das weiß ich.«
    »Großmutter hat alle überredet, auch die Ärzte. Sie ist unglaublich, wenn sie erstmal loslegt. Danach haben wir einfach meinen Koffer gepackt und das Krankenhaus verlassen. Aber Kristine kommt mehrmals die Woche. Sie ist Krankenschwester.«
    »Das weiß ich alles.«
    Cecilie blickte zur Decke. Sie dachte eine Weile über das Ganze nach, was in den letzten Monaten passiert war. Dann wandte sie sich wieder Ariel zu:
    »Bist du ganz sicher, daß du ein richtiger Engel bist?«
    »Ich habe doch gesagt, Engel lügen nicht.«
    »Aber wenn du lügst, bist du ja kein Engel, und dann ist es vielleicht doch möglich, daß du lügst.«
    Er seufzte tief.
    »Euer Mißtrauen ist wirklich verflixt kompliziert!«
    Cecilie lief es kalt den Rücken runter. Ob das von ihrem Mißtrauen kam?
    »Darf ich dir eine richtig blöde Frage stellen?« bat sie.
    »Fragen ist nie blöde.«
    Sie holte tief Luft.
    »Bist du ein Mädchen oder ein Junge?«
    Ariel lachte ein glasklares Lachen. Cecilie fand, es klang wie früher, wenn sie auf Flaschen gespielt hatte, die mit Wasser gefüllt waren. Es hörte sich derart witzig an, daß sie ihre Frage gleich wiederholte:
    »Bist du ein Mädchen oder ein Junge?«
    Er hatte sie offenbar durchschaut, denn er lachte noch einmal ausgiebig, aber diesmal hörte sich sein Lachen ziemlich angestrengt an.
    »Das ist eine sehr irdische Frage.«
    Sie war gekränkt. Er hatte doch gerade gesagt, daß Fragen nie blöde sein könnten.
    »Diese komischen Unterschiede gibt es im Himmel nicht«, erklärte er. »Aber du kannst mich gern für einen >Jungen< halten, dann haben wir von jeder Sorte ein Exemplar.«
    »Warum gibt es dann bei uns solche >komischen Unterschiede<«
    »Darüber haben wir doch schon gesprochen. Es muß zwei verschiedene Geschlechter geben, wenn neue Kinder auf die Welt kommen sollen. Das weißt du auch, Cecilie. Aber für einen Engel ist es wirklich nicht lustig, über dieses Thema zu sprechen.«
    »Entschuldigung!«
    »Schon gut. Gott hätte sicher keinen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gemacht, wenn sie nicht zu Männern und Frauen werden sollten, die neue Kinder machen. Damals ist ihm wahrscheinlich keine bessere Methode eingefallen. Hast du etwa einen besseren Vorschlag?«
    »Ich weiß nicht.«
    Jetzt wurde Ariel eifrig.
    »Wenn ihr durch Knospung entstehen würdet, hättest du sicher danach gefragt. Aber egal wie, immer könnte alles auch ganz anders sein. Ihr könntet zum Beispiel im Innern der Erde wohnen, statt draußen auf ihr herumzukrabbeln. Es wäre sicher nicht unmöglich, in der Erde Städte und Bauernhöfe zu bauen, wenn die Verhältnisse entsprechend wären. Und wenn die Verhältnisse nicht entsprechend wären, könnte man sie immer noch ändern. Es ist natürlich keine kleine Kunst, eine Welt zu erschaffen, aber man fängt ja immer mit einem weißen Blatt an.«
    »Das ist ein komischer Gedanke«, meinte Cecilie. »Und je länger ich darüber nachdenke, desto komischer wird er.«
    »Was denn?«
    »Daß es auf der Erde zwei Sorten von Menschen gibt.«
    Er lächelte schelmisch.
    »Das gehört zu den
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