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Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)

Titel: Durch den Schnee: Erzählungen aus Kolyma 1 (German Edition)
Autoren: Warlam Schalamow
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Kissen.
    »Ich setze die Decke«, sagte Naumow heiser.
    »Zweihundert«, antwortete Sewotschka mit gleichgültiger Stimme.
    »Tausend, du Kanaille!«, schrie Naumow.
    »Wofür? Das ist nichts wert! Das ist ein Loksch, ein Dreck«, erwiderte Sewotschka. »Nur für dich — ich spiele um dreihundert.«
    Die Schlacht ging weiter. Nach den Regeln darf der Kampf nicht beendet werden, solange der Partner noch etwas aufbieten kann.
    »Ich setze die Filzstiefel.«
    »Ich spiele nicht um Filzstiefel«, sagte Sewotschka fest. »Ich spiele nicht um Staatsklamotten.«
    Um ein paar Rubel wurde ein ukrainisches Handtuch mit Hähnen verspielt und ein Zigarettenetui mit ziseliertem Gogol-Profil — alles ging an Sewotschka. Durch Naumows dunkle Wangenhaut trat eine satte Röte hervor.
    »Auf Ehrenwort«, sagte er unterwürfig.
    »Das fehlte noch«, sagte Sewotschka lebhaft und streckte die Hand nach hinten: sogleich wurde ihm eine angezündete Marchorka-Papirossa in die Hand gelegt. Sewotschka nahm einen tiefen Zug und bekam einen Hustenanfall. »Was soll ich mit deinem Ehrenwort? Neue Etappen gibt es nicht — wo nimmst du es her? Von den Posten vielleicht?«
    Die Einwilligung, »auf Ehrenwort« zu spielen, auf Pump, war dem Gesetz nach eine nichtobligatorische Gefälligkeit, doch Sewotschka wollte Naumow nicht beleidigen und ihm die letzte Chance des Rückgewinns nicht nehmen.
    »Einen Hunderter«, sagte er langsam. »Ich gebe dir eine Stunde.«
    »Gib eine Karte«, Naumow rückte das Kreuzchen zurecht und setzte sich. Er gewann die Decke, das Kissen, die Hosen zurück — und verlor wieder alles.
    »Vielleicht setzten wir ein
tschifir
chen an«, sagte Sewotschka und legte die gewonnenen Sachen in einen großen Sperrholzkoffer. »Ich warte.«
    »Aufbrühen, Jungs«, sagte Naumow.
    Es ging um ein staunenswertes nördliches Getränk, um starken Tee, wo für eine kleine Tasse fünfzig und mehr Gramm Tee aufgebrüht werden. Das Getränk ist extrem bitter, man trinkt es in kleinen Schlucken und ißt dazu gesalzenen Fisch. Es vertreibt den Schlaf und steht darum bei den Ganoven und auch den Chauffeuren auf ihren langen Fahrten im Norden hoch im Kurs.
Tschifir
müßte zerstörerisch auf das Herz wirken, doch ich kannte langjährige
tschifir
-Trinker, die ihn fast problemlos vertrugen. Sewotschka nahm einen Schluck aus dem ihm gereichten Becher.
    Der schwere dunkle Blick Naumows glitt über die Umgebenden. Sein Haar war wirr. Sein Blick erreichte mich und hielt inne.
    Ein Gedanke blitzte auf in Naumows Hirn.
    »Los, komm her.«
    Ich trat vor ins Licht.
    »Zieh die Jacke aus.«
    Es war schon klar, worum es ging, und alle verfolgten Naumows Versuch mit Interesse.
    Unter der Wattejacke trug ich nur die Staatswäsche — die Feldbluse hatten sie vor zwei Jahren ausgegeben, und sie hatte sich längst aufgelöst. Ich zog mich wieder an.
    »Komm du«, sagte Naumow und zeigte mit dem Finger auf Garkunow.
    Garkunow zog die Wattejacke aus. Sein Gesicht war weiß. Unter dem schmutzigen Unterhemd trug er einen Wollpullover, er war das letzte, was seine Frau ihm gebracht hatte vor dem Abtransport auf den weiten Weg, und ich wußte, wie Garkunow ihn hütete, ihn im Badehaus wusch, am Körper trocknete und nicht einen Moment aus den Händen ließ — die Kameraden hätten das Strickhemd sofort geklaut.
    »Los, ausziehen«, sagte Naumow.
    Sewotschka hob zustimmend einen Finger — Wollsachen wurden geschätzt. Wenn man das Jäckchen zum Waschen gibt und die Läuse abdampft, kann man es auch selber tragen, das Muster ist schön.
    »Nein«, sagte Garkunow heiser. »Nur mitsamt der Haut...«
    Sie stürzten sich auf ihn, warfen ihn um.
    »Er beißt«, schrie jemand.
    Garkunow stand langsam vom Boden auf und wischte sich mit dem Ärmel das Blut vom Gesicht. Und sofort ging Saschka, Naumows Barackendienst, derselbe Saschka, der uns vor einer Stunde das Süppchen fürs Holzsägen eingeschüttet hatte, leicht in die Hocke und zog etwas aus dem Schaft seines Filzstiefels. Dann streckte er die Hand nach Garkunow aus, und Garkunow schluchzte auf und kippte langsam zur Seite.
    »Ging’s denn nicht ohne!«, schrie Sewotschka.
    Im flackernden Licht des Benzinlämpchens sah man, wie Garkunows Gesicht grau wurde.
    Saschka streckte die Arme des Getöteten, zerriß das Unterhemd und zog den Pullover über den Kopf. Der Pullover war rot und das Blut darauf kaum zu sehen. Vorsichtig, um sich die Finger nicht schmutzig zu machen, legte Sewotschka den Pullover in den
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