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Dunkler Dämon

Dunkler Dämon

Titel: Dunkler Dämon
Autoren: Jeff Lindsay
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hatte, der auf der anderen Seite in seinem braunen Taurus parkte. Er war nicht da. Bald würde er nirgends mehr sein – es sei denn, ich fand ihn. Er wollte mich tot oder im Gefängnis sehen, und ich wäre glücklicher, wenn er einfach verschwände – ein kleines Stück nach dem anderen oder im Ganzen, das war mir egal. Und doch machte ich Überstunden, zwang Dexters mächtige mentale Maschine auf Hochtouren, um ihn zu retten, damit er mich umbringen oder einsperren konnte.
    Kein Wunder, dass ich das ganze Konzept des Lebens für überschätzt hielt.
    Vielleicht von der Ironie angestachelt spottete der fast vollkommene Mond durch die Bäume. Und je länger ich nach draußen starrte, desto stärker spürte ich das Gewicht dieses ruchlosen alten Mondes, der direkt über dem Horizont leise zischte, mir heiß und kalt über das Rückgrat blies, mich nach draußen, zum Handeln, drängte, bis ich mich dabei ertappte, wie ich nach meinen Autoschlüsseln griff und zur Tür hinausging. Warum sollte ich nicht hinfahren und nachsehen? Es würde nicht länger als eine Stunde dauern, und ich würde meine Gedankengänge weder Debs noch Chutsky erklären müssen.
    Mir war klar, dass mir die Idee zum Teil deshalb zusagte, weil sie rasch und einfach durchzuführen war, und wenn sie sich auszahlte, war ich rechtzeitig für meine morgige Verabredung zum Spielen mit Reiker wieder im Besitz meiner schwer erkämpften Freiheit – und außerdem bekam ich langsam Appetit auf eine kleine Vorspeise. Warum sollte ich mich nicht ein wenig mit Dr. Danco aufwärmen? Wer konnte es mir verübeln, wenn ich ihm dasselbe antat, was er nur zu bereitwillig anderen zufügte. Um an Danco heranzukommen, musste ich Doakes retten, aber nun gut, niemand hatte je behauptet, das Leben wäre vollkommen.
    Und so machte ich mich auf, über den Dixie Highway entlang der I-95 Richtung Norden, die ganze Strecke bis zum 79th Street Causeway und dann direkt hinüber zu den Normandy Shores in Miami Beach, wo Ingraham lebte.
    Die Nacht war bereits hereingebrochen, als ich langsam die Straße hinunterrollte. In der Einfahrt parkte ein dunkelgrüner Lieferwagen, sehr ähnlich dem weißen, den Danco vor einigen Tagen zu Schrott gefahren hatte. Er stand neben einem neueren Mercedes und wirkte in dieser vermögenden Gegend wie ein Fremdkörper. So, so, dachte ich. Der Dunkle Passagier begann mir Worte der Ermutigung zuzumurmeln, aber ich fuhr weiter um die Kurve beim Haus zu einem leeren Parkplatz, wo ich anhielt. Sofort hinter der Ecke fuhr ich an den Straßenrand.
    Nach den Fahrzeugen der Nachbarschaft zu urteilen, gehörte der grüne Lieferwagen nicht hierher. Selbstverständlich war es möglich, dass Ingraham irgendwelche Malerarbeiten durchführen ließ und die Arbeiter beschlossen hatten zu bleiben, bis der Job erledigt war. Aber das glaubten weder ich noch der Dunkle Passagier. Ich zog mein Handy heraus und rief Deborah an.
    »Ich habe etwas entdeckt«, teilte ich ihr mit, als sie sich meldete.
    »Wieso hast du so lange gebraucht?«, fragte sie.
    »Ich glaube, Dr. Danco arbeitet in Ingrahams Haus in Miami Beach«, sagte ich.
    Ein kurzes Schweigen folgte, in dem ich ihre gerunzelte Stirn förmlich vor mir sehen konnte. »Wie kommst du darauf?«
    Die Vorstellung, ihr zu erklären, dass meine Entdeckung reiner Raterei zu verdanken war, wirkte nicht besonders anziehend, deshalb sagte ich nur: »Das ist eine lange Geschichte, Schwesterherz. Aber ich glaube, ich habe Recht.«
    »Glaubst du«, sagte sie. »Aber du bist nicht sicher.«
    »Das werde ich in ein paar Minuten sein«, sagte ich. »Ich parke um die Ecke hinter dem Haus, und davor steht ein Lieferwagen, der in diesem Viertel ein wenig fehl am Platz wirkt.«
    »Rühr dich nicht vom Fleck«, sagte sie. »Ich rufe dich zurück.« Sie legte auf, und ich starrte weiter auf das Haus. Der Winkel war äußerst unbequem, ich konnte das Haus nicht richtig beobachten, ohne mir einen steifen Hals zu holen. Deshalb wendete ich den Wagen und fuhr zurück zu der Kurve, an der das Haus stand und mich verspottete, und während ich das tat – passierte es. Er streckte seinen geschwollenen Kopf durch die Bäume, ließ seine trüben Strahlen auf die ranzige Landschaft rinnen. Der Mond, der stets lachende Leuchtturm Mond. Dort war er.
    Ich konnte spüren, wie die eisigen Finger des Mondes mich anstießen, bohrten und mich neckten und mich zu Narrheiten und dem wundervollen Etwas drängten, und es war so lange her, dass ich
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